Abelina

32, arbeitet im Sozialbereich, ehrenamtliche Tätigkeiten im Kunst- und Kulturbereich, in einer Beziehung

 

Wut = Mut

Lendwirbel. Ich wirble durch die Straßen, lasse mich treiben und genieße es, zufällig auf bekannte Gesichter zu stoßen. Mal bleib ich stehen und plaudere, mal lass ich mich gleich weitertreiben. Vor dem Hausfrauenpalast sitzen einige Menschen, ein Gesicht darunter kenne ich. Zwar nicht besonders gut, aber gut genug, um kurz stehen zu bleiben und „Hallo“ zu sagen. Ich biete dem bekannten Gesicht lässig meine rechte Hand in der Luft an. Doch anstatt zu High-Fiven machen wir seltsame Moves. Am Ende dieser Moves landet seine Hand klatschend auf meinem Hintern. Ich versuche mir nicht anmerken zu lassen, dass ich diesen Move gerade nicht sehr passend fand. Wir plaudern ein wenig, dann kann und will ich meine Irritation nicht länger verbergen, da sein Blick ganz offensichtlich auf meinen Brüsten haftet. Ich sage ihm, dass ich das ziemlich sexistisch finde. Seine Reaktion darauf: Leute, die ihn für einen Sexisten halten, können ihn am Arsch lecken und ihm auch in den Arsch kriechen und finden da hoffentlich nie wieder raus. Er sagt das ganz ohne Sarkasmus, mit einem aggressiven Unterton. Ich bin baff von so viel Ignoranz, seiner Aggressivität, weiß mir nicht anders zu helfen, als ihm beide Mittelfinger zu zeigen, irgendetwas Beleidigendes zu rufen und abzurauschen.

Als ich ihn ein paar Tage später auf der Straße sehe, wechsle ich die Straßenseite und erzähle dem Freund, mit dem ich gerade unterwegs bin, die Geschichte. Er kennt das Gesicht auch. Besser als ich. Und es ist eine Genugtuung, tuschelnd an dem Gesicht vorbei zu gehen. Alle sollen wissen, was für ein ignoranter Sexist dieser Typ ist. Ich erzähle die Geschichte auch anderen Freund:innen, manche von ihnen kennen ihn, manche nicht. Begegne ich dem Gesicht, versuche ich es entweder zu ignorieren oder mit verächtlichen Blicken zu strafen.

Dann, ein Monat später. Ein lauer Sommerabend. Ich sitze mit Freunden und einer Flasche Wein vor einem linken Beisl. Später gehen wir rein und landen, noch später, oben auf der Terrasse. Da sitzt das Gesicht. Ich habe es vorhin schon gesehen. Habe versucht es zu ignorieren. Doch auf der Terrasse ist kein Platz für ihn und mein So-tun-als-ob-nichts-wäre. Ich setze mich zu dem Gesicht. Wir sprechen über das High-Five. Er kann sich an die Situation nur sehr schlecht erinnern, sagt er. Er wüsste nichts von seiner Hand auf meinem Hintern und wenn dann wäre es nur Spaß gewesen. Und falls er mir tatsächlich auf die Brüste gestarrt haben sollte, dann nur, weil er eben auf große Brüste stehe. Ich bin sehr damit beschäftigt, meine Wut in Zaum zu halten. Ein Teil von mir will ihm helfen. Will, dass er draufkommt, dass das, was er getan hat, nicht okay war. Als ich auf seine aggressive Reaktion zu sprechen komme, meint er nur, da habe ich wohl etwas gesagt, das ihn provoziert hätte. Aber er könne sich nicht mehr genau daran erinnern. Weder an das, was ich gesagt habe, noch an das, was er angeblich getan habe.
Ich reiße mich zusammen. Ein Teil von mir will ihm helfen.

Er erzählt mir von einigen ähnlichen „unangenehmen“ Erfahrungen, die er gemacht habe. Dass er auch schon von anderen Frauen und Männern als Sexist beschimpft wurde, ihm Bier über den Kopf geleert oder ihm zwischen die Beine getreten wurde. Dabei habe er doch gar nichts gemacht. Dann erklärt er mir, er sei mit drei Frauen aufgewachsen und alleine wegen dieser Tatsache könne er doch kein Sexist sein. Auf meine Frage, warum er glaubt, dass ihn so viele Menschen als sexistisch übergriffig empfinden, hat er keine Antwort. Ganz klar ist er hier ja das Opfer, auch wenn er sich selbst nicht direkt so betitelt. Laut seinen Schilderungen wurde er immer wieder von Menschen angegriffen, die mit seiner offenen und direkten Art anscheinend nicht umgehen konnten. Ganz nebenbei erwähnt er, dass er eben einfach auf guten und harten Sex stehe.

Meine zwei Freunde, die einen Teil unseres Gesprächs belauscht haben, nehmen mich irgendwann zur Seite und fragen, warum ich mir denn überhaupt die Mühe mache, dieses Gespräch zu führen. Ich weiß es selbst nicht. Dieses Gesicht, das da vor mir sitzt, hat sich seine Welt so gebaut, dass eine Reflexion seiner Verhaltensweisen weder notwendig noch möglich ist. Und ich fasse es einfach nicht.

Ich fasse es nicht, dass ich wirklich geglaubt habe, ich könnte diese Person durch ein Gespräch verändern. Sie zum Reflektieren zu bringen. Sie dazu zu bringen, sich einfach nur zu entschuldigen.

Noch in derselben Nacht schreibe ich einen wutentbrannten Text, der sich weit unter der Gürtellinie bewegt. Irgendwo muss meine Wut hin. Auf der Terrasse habe ich nur einen klitzekleinen Teil von ihr raus gelassen. Am nächsten Tag folgt ein nüchterner, aber nicht weniger wütender Text. Ich nehme mir vor, den nüchternen Text bei meiner nächsten Lesung vorzutragen und das Gesicht zu der Lesung einzuladen. Tatsächlich habe ich bald eine Lesung. Ich lade das Gesicht nicht ein und auch den Text lese ich nicht. Ich möchte die Geschichte zwar mit anderen teilen, dem Gesicht aber nicht so viel Raum geben.
Es sind mittlerweile dreieinhalb Jahre vergangen. Ich begegne dem Gesicht immer wieder zufällig. Wir grüßen uns, meistens streife ich seinen verunsicherten Blick und gehe weiter. Einmal kann ich nicht weitergehen, denn wir sitzen am gleichen Tisch. Eine gemeinsame Freundin hat Geburtstag. Ihr habe ich die Geschichte noch nicht erzählt.
Ich frage mich, warum. Sie und das Gesicht sind schon lange und gut befreundet. Gerade deshalb sollte sie von der Geschichte wissen. Doch ich habe Angst vor dem, was meine Erzählungen auslösen könnten. Dass ich ihre Freundschaft mit dem Gesicht oder unsere damit belaste. Hier gerät mein „Alle-sollen-es-wissen“ ins Stocken.

Trotzdem. Ja.
Es sollen möglichst viele Menschen wissen.
Ja. Ich würde auch heute noch gleich reagieren: „Deine Hand auf meinem Arsch, dein Blick auf meinen Brüsten – gar nicht cool.“ Sexistische Kackscheiße. Das Gespräch mit dem Gesicht würde ich wahrscheinlich wieder führen. Auch wenn ich nicht den Eindruck hatte, als ob es irgendwas an seiner Einstellung geändert hat. Tatsächlich wissen tu ich es nicht. Ich weiß nur, dass ich mit meiner Art sein Selbstbild wahrscheinlich ein bisschen ins Wanken gebracht habe. Und ich weiß, dass mich seine Art zwar ins Stocken, aber bestimmt nicht ins Wanken gebracht hat.


Unbehagen, (un)behaart

Ich mag Haare. Ich mag sie am Kopf, auf den Armen, unter den Achseln, am Bauch, auf der Brust, auf den Beinen und zwischen den Beinen. Dass ich Haare an besagten Orten nur bei Männern attraktiv oder ästhetisch finden darf und nicht bei mir oder anderen Frauen, das ist irgendwie seltsam. Soll ich mich rebellisch fühlen, wenn ich mir meine Achselhaare nicht mehr jeden zweiten Tag, sondern nur mehr jeden zweiten Monat rasiere? Oder unsexy, wenn ich im Winter meine Unterschenkel-Haare wuchern lasse? Meine Schamhaare ließ ich immer schon wuchern und die auf meinen Oberschenkeln dürfen nun mittlerweile auch ungehemmt wachsen. Doch genau an diesem Ort war das nicht immer so.
Wann ich mich das erste Mal rasiert habe, weiß ich nicht mehr genau. Wahrscheinlich war ich 13 oder 14. Gemeinsam mit meiner Mutter hab ich mir in der Küche die Beine rasiert. Ich glaube, es war auch ihr erstes Mal. Sie hat es mir weder ein- noch ausgeredet, sie hat solidarisch mitgemacht. Es war irgendwie lustig und das machte frau jetzt eben so. Damals wurden neben meinen Unterschenkeln auch bald Achseln und Bikinizone mit geschoren.

Dann mit 18, großes Unverständnis, als ich erfahre, dass meine beste Freundin sich ihren Schamhaarbereich komplett rasiert. Ich frage sie, warum sie das macht. Sie meint, bei ihr am Land hätten das immer alle so gemacht.
Was ich jetzt weiß: immer wieder in der Menschheitsgeschichte war und ist die komplette Intimrasur bei Frauen (und auch Männern) ein Schönheitsideal. Auswüchse davon sind mittlerweile auch Schönheits-OPs von Genitalien. Das Phänomen nennt sich Intimästhetik (danke, Wikipedia) und ich bin sehr froh, dass sich mir diese gruselige „Ästhetik“ nie so aufgedrängt hat. Ich kann mich noch an meine Verwunderung erinnern, als mir zum ersten Mal ein komplett haarfreier Penis gegenüberstand.
Dann mit 19, große Verunsicherung, als mir mein erster Freund recht uncharmant mitteilt, ich solle mir doch bitte mal die Oberschenkel rasieren. Was ich dann auch tat, weil mein Freund es unsexy fand und ich dann auch. Lange war ich neidisch auf Frauen, deren Oberschenkel-Haare so hell waren, dass man sie kaum sah. Mein Fazit damals: Körperbehaarung, die man sieht, muss weg.
Jahre später, im Taxi, sehr betrunken am Weg zu einem One-Night-Stand, gestehe ich dem Typen, dass bei mir gerade alles wuchert. (Der Grund: die Haare müssen lang sein, damit ich sie für den Sommer mit Heißwachsstreifen entfernen kann.) Ich sage das zu ihm, weil ich denke, Männer erwarten glatt-rasierte Frauen. Doch den Typen schien meine Körperbehaarung nicht zu stören.

Das Rasieren meiner Achseln, Unterschenkel und Bikinizone habe ich lange nicht hinterfragt. Es war normal, denn so gut wie alle in meinem Umfeld haben es ja auch gemacht. Als ich in einem Bachelorseminar die vollbehaarten Beine einer Studienkollegin sehe, bin ich irritiert und zugleich beeindruckt. Ich kann meinen Blick nicht von ihren Beinen abwenden, die so frech zwischen dem Stoff ihres langen Rockes hervor blitzen. Wie mutig, denke ich mir. Doch für mich kommt das nicht in Frage. Ich würde mich doch viel zu unwohl damit fühlen. Oder?
Als es mit der Zeit immer mehr Frauen in meinem Umfeld mit haarigen Achseln und Beinen gibt, beginnt die Zeit der Fragen: Warum fühle ich mich mit behaarten Beinen in der Öffentlichkeit unwohl? Warum rasiere ich meine Achseln? Für wen rasiere ich mich? Woher kommt dieses Unbehagen, wenn ich Haare an bestimmten Körperstellen nicht rasiere?
Und warum schäme ich mich, Sommer für Sommer, wenn ein paar meiner Schamhaare aus meiner Bikinihose hervorlugen? Ganz abrasieren will ich sie nicht, aber sehen soll sie ja auch niemand. Wieso denn eigentlich?

Wäre ich – ohne Werbung, Filme und Meinungen anderer – von selbst auf die Idee gekommen, dass es unästhetisch ist, behaarte Beine, Achseln oder lange Schamhaare zu haben? Eine Frage, die ich nicht beantworten kann. Unser Frauen- und Männerbild ist geprägt von Hochglanz und von weg-retuschierten Pickeln, Haarstoppeln und Rundungen. Da ist es so gut wie unmöglich herauszufinden, was davon eigener Geschmack und was „antrainierter“ Geschmack ist. Ist Geschmack vielleicht sowieso antrainiert? Mag ich Brusthaare und Bart bei Männern deshalb, weil mein Vater das hatte?

Haare sind tricky. Am Kopf wollen wir meistens mehr davon, aber am restlichen Körper bitte ja nicht zu viel davon. Haare – ganz egal wo am Körper – erfüllen wichtige Funktionen. Sie schützen uns zum Beispiel vor Krankheitserregern und UV-Strahlung. Doch sie stören den Blick auf den perfekten Körper und die erotisierten Details.
Bei Frauen ist es ein glattrasierter Körper, bei Männern darf es ruhig etwas haariger sein. Männer können sich entscheiden, ob sie einen Bart oder Brusthaare „tragen“ wollen. Frauen sollten so gut wie keine (sichtbare) Körperbehaarung haben. Doch die Haare am Kopf müssen lang und wallend sein.
Seit bald 10 Jahren trage ich auf meinem Kopf nun durchwegs kurz. Weil es praktisch ist und weil es mir gefällt. Und ich bekomme immer noch zu hören: „Warum lässt du dir denn nicht mal die Haare wachsen?“ oder „Dir stehen lange Haare bestimmt gut!“ oder „Frauen mit kurzen Haaren find ich eh spannend“. Echt jetzt?

Ich tappe selbst, wie wir alle, in die Fallen von Schönheitsidealen. Ich möchte mich gerne von ihnen befreien, doch das ist gar nicht so einfach.
Selbst dann nicht, wenn ich in einem Frauenkreis plötzlich die einzige mit rasierten Unterschenkeln bin.