Cora

Studentin, 22


Ambiguitäten

Eine Anekdote

Mir bleibt die Luft weg. Nur für einen flüchtigen Augenblick. Ein Augenblick der Verwirrung, der Ambiguität. Ein wirrer Knoten in meinem Kopf. Ich stoße meinen angehaltenen Atem wieder aus. Ruhiges Ein- und wieder Ausatmen. War das sexistisch von ihm? Ich höre die Stimme von manch einer Freundin. Sie ruft: Ja, auf jeden Fall! Widerstand in mir. Es geht schließlich auch darum in dieser Gesellschaft mit Konventionen zu brechen. Falsch: Es geht mir schließlich auch darum in dieser Gesellschaft mit Konventionen zu brechen. Die Gespräche gehen weiter. Ein kurzer Lacher und scheinbar ist nichts geschehen. In mir aber steht alles Kopf. Er ist mein bester Freund, wir teilen ein Weltbild, meistens. Wir teilen nicht das Bett. Wenn wir das Bett teilen würden, würden wir damit einige gesellschaftliche Konventionen brechen. Sex zwischen uns würde sich „nicht gehören“. Wichtig ist nicht, aufgrund von welchen Merkmalen Sex zwischen uns Konventionen brechen würde, sondern dass ich grundsätzlich davon überzeugt bin, dass diese Konventionen längst überwunden sein sollten, dass ich mich selbst mit in der Verantwortung sehe, dazu beizutragen, sie zu überwinden. Ich befinde mich also in diesem Augenblick, in dem mir der Atem stockt, während mein bester Freund unter Kichern andeutet mit mir Sex zu haben. Durch seine Formulierung bleibt offen, ob wir nun tatsächlich das Bett teilen oder nicht. Ich kenne ihn. Ich kenne ihn so gut. Er will damit provozieren und Risse verursachen in veraltete Vorstellungen von Liebe und Sex. Ich will das auch. Mir bleibt dennoch der Atem weg. Denn ich Frau, 20. Er Mann, 40. Ich Frau, Sexobjekt. Er Mann, Stecher.

Ich und…
Ich werfe die Stichsäge an. Ich fühl mich gut dabei. Ich lasse meinem Freund den Vortritt, um es mir zu zeigen. Ich fühl mich ertappt. Ich baue ein Regal. Ich fühl mich gut dabei. Ich dekoriere es mit Pflanzen und kleinen Parfümfläschchen. Ich fühl mich ertappt. Ich lebe sexuelle Freiheiten. Ich fühl mich gut dabei. Ich mach das mit Augenaufschlag und Hüftschwung. Ich fühl mich ertappt.
Ich fühle mich also ertappt, ertappt dabei eben doch nicht die eine Frau zu sein, die es anders macht, die selbstbewusst den Hammer schwingt. Aber was ist schon dabei, mir etwas zeigen zu lassen? Dennoch, ich mach das nicht zum ersten Mal, sag’ ich mir. Ich kann das, sag’ ich mir, doch irgendetwas in mir will es mir nicht glauben. Ich kann das nicht, antworte ich mir. Mein Ich ist zerrissen. Ich bin gespalten. Stimmen, die mir sagen hilfsbedürftig zu sein. Stimmen, die mir sagen, einstehen zu müssen, dafür, dass ich das auch ohne Hilfe kann. Stimmen, die mir raten, ‚authentisch‘ zu sein. Authentizität also, eine ‚authentische Feministin‘. Bewusst unbewusste Rollenbilder abbauen, dabei mir aber möglichst treu bleiben. Selbstsicher sein, aber nicht das Bild befördern, dass Frauen heutzutage eh…
Stark sein, aber nicht einfach Männer kopieren. Mitfühlend sein, nur nicht bevormundend. Wut zulassen?
Manchmal.

…die anderen

Ich erwähne meine Handwerksprojekte. Ich werde gefragt, ob ich das einbringe, um mit Rollenbildern zu brechen. Und wenn dem so wäre?
Ich erwähne, dass ich keine Kinder mag. Ich werde gefragt, ob ich das absichtlich überbetone. Und wenn dem so wäre?
Ich erwähne, dass ich nur auf harten Sex stehe. Ich werde gefragt, ob ich was beweisen möchte? Und wenn dem so wäre?