Niki

33, Studium der Soziologie, seit 2017 in der Forschung beim VMG tätig, in einer Partnerschaft lebend

 

 

Der Vorstand

Eines Tages leitete mir meine Chefin eine Mail weiter, in der es hieß, dass die österreichische Interessensvertretung für Soziologie zwei neue Mitglieder für ihren studentischen Vorstand sucht. Sie hat mich darin bestärkt, mich da doch zu bewerben. Nach der Übermittlung meiner Bewerbung wurde ich zu einem Onlinebewerbungsgespräch mit dem Präsidenten und der Geschäftsstellenleitung des Vereins eingeladen. Das Gespräch verlief äußerst gut. Im Zuge des Gesprächs erfuhr ich, dass sich zwei der drei bisherigen studentischen Vorstandsmitglieder, nach internen Streitigkeiten mit dem restlichen Vorstand, dazu entschlossen hatten, ihr Vorstandsmandat zurückzulegen. Aufgrund dessen wurden für die restliche Amtsperiode zwei neue studentische Mitglieder gesucht. Nach einer internen Diskussion des bestehenden Vorstands über die eingegangenen Bewerbungen wurde mir mitgeteilt, dass entschlossen wurde mich für den Posten eines studentischen Vorstandes bei der kommenden Generalversammlung vorzuschlagen.

Bei der Generalversammlung wurde ich von den anwesenden Mitgliedern des Vereins zum Vorstand kooptiert, das heißt hinzugewählt. Somit bestand der Vorstand wieder wie bisher aus acht Köpfen: dem Präsidenten, zwei Vizepräsidentinnen, einem Schriftführer, einem Finanzreferenten und drei studentischen Mitgliedern. Weitere Programmpunkte der Versammlung waren ein Vortrag über die Nachkriegssoziologie in Österreich, Präsentationen der einzelnen Sektionen des Vereins und die Vorstellung der dreiköpfigen Wahlkommission für die Vorstandswahl im kommenden Jahr. Zum Vortrag wurde von der Gründerin der Sektion Frauenforschung kritisiert, dass es bisher lediglich drei weibliche Präsidentinnen in der Geschichte des Vereins gab. Auf diese drei weiblichen kamen bisher achtzehn männliche Präsidenten. Des Weiteren wurde von der Sprecherin der Sektion Feministische Theorie und Geschlechterforschung die schiefe Optik angesprochen, dass in der dreiköpfigen Wahlkommission ausschließlich Männer* sitzen. Auf diesen Kommentar folgte ein betretenes Schweigen, ehe der Präsident hastig das Thema wechselte.
Die folgenden Treffen im studentischen Vorstand empfand ich als interessant und der Austausch in unserer dreiköpfigen Gruppe erschien mir sehr kooperativ. Jede*r von uns wollte ein Projekt für den Verein umsetzen. Geplant war, einen Filmabend mit anschließender Diskussion zu organisieren, Shortclips zu den verschiedenen Berufsmöglichkeiten von Absolvent*innen der Soziologie (abseits des Taxifahrer*innen-Klischees) zu produzieren und eine Liste mit potenziellen Arbeitgeber*innen für Absolvent*innen der Soziologie zu erstellen. Mein Eindruck vom Verein war, dass er zwar Interessensvertreter von Soziolog*innen ist, die auf Universitäten tätig sind (oder darauf spekulieren), weniger aber Interessensvertreter von Soziolog*innen abseits der Universitätskarrieren. Die Institution also breiter zu machen, empfand ich als wichtig. Durch Insiderwissen meines Vaters wusste ich aber auch, dass es diesbezüglich schon in der Vergangenheit Ambitionen im Verein gab, diese aber bisher immer scheiterten.
An der ersten Vorstandssitzung konnte ich krankheitsbedingt nicht teilnehmen. Mir wurde aber erzählt, dass unseren Projektvorschlägen vom restlichen Vorstand „Wind aus den Segeln“ genommen wurde. Der Schriftführer etwa verglich uns, unsere Ambitionen und Vorgehensweise mit dem soeben zurückgetretenen studentischen Vorstand. Auch in den kommenden Vorstandssitzungen hatte ich das Gefühl, beim restlichen Vorstand auf Widerstand zu stoßen. Mich erinnerte die Dynamik im Vorstand an meine Erfahrungen in einer jungen politischen Gruppierung, deren Auffassung von Basisdemokratie es war, jeden Vorschlag „auszudiskutieren“. Auffällig an diesen vermeintlichen Diskussionen war, dass immer dieselben drei Burschen diskutierten, während das Gros der Gruppe als Publikum fungierte. Die Diskussionen endeten in der Regel damit, dass die Ideen des Gros als nicht gut genug befunden wurden. Und obwohl ich jetzt im Vorstand ein volles Stimmrecht hatte und gleichwertiges Mitglied des Vorstands war, hatte ich das Gefühl, in erster Linie die Funktion zu haben, den Vorstand durch unsere Anwesenheit als Studierende als progressiv dastehen zu lassen.
In einer der letzten Vorstandssitzungen vor der Generalversammlung stand der Programmpunkt „Vorstandswahl für die nächste Amtsperiode“ auf der Tagesordnung. In dem Verein ist es üblich sich als Gruppe für den Vorstand zu bewerben. Es ging also darum, ob wir gemeinsam als Gruppe wieder antreten würden. Vorab war klar, dass eine der zwei Vizepräsidentinnen nicht mehr antreten würde. Hier gab es auch schon einen Ersatzvorschlag, eine renommierte Soziologin. Hinsichtlich der Geschlechterparität im Verein, also der Gleichheit der Geschlechter, rumorte es schon seit Langem in mir. Seit der letzten Generalversammlung. Mir ging es nicht aus dem Kopf, dass es bisher erst drei Präsidentinnen gab und die Wahlkommission der kommenden Wahl lediglich aus Männern* bestand. Meine Recherchen zum Geschlechterverhältnis der Mitglieder des Vereins ergab, dass das Verhältnis der Mitglieder ziemlich ausgeglichen war, 50:50. Im Vorstand waren wir aber nur drei Frauen* zu fünf Männern*. Einerseits wollte ich gerne wieder antreten, andererseits fand ich diesen Umstand schwer vertretbar. Ich machte mir also Gedanken, wie man das Problem lösen könnte. Meine Idee war, den Vorstand um zwei weibliche Mitglieder zu erweitern. So wären wir fünf Frauen* und fünf Männer* und keiner der Männer* müsste auf sein Antreten verzichten. Ich unterbreitete meinen Vorschlag zunächst per Mail den Vizepräsidentinnen und fragte sie, was sie davon halten. Ihre Antwort war, dass wir das bei der kommenden Sitzung mit dem gesamten Vorstand diskutieren sollten. So kam der Punkt „Geschlechterparität im Vorstand“ als Themenpunkt auf die Tagesordnung der Vorstandssitzung.
Bei der Vorstandssitzung unterbreitete ich dem gesamten Vorstand meine Zweifel hinsichtlich der Geschlechterparität im bestehenden Vorstand und meinen Vorschlag dieses Problem zu lösen. Es folgte ein betretenes Schweigen. Der Präsident brach die Stille und argumentierte, dass ein zehnköpfiger Vorstand viel zu groß sei und dass das die Vereinsstatuten gar nicht zulassen würden. Der Finanzreferent pflichtete dem vehement bei. Im Anschluss daran hielt der Präsident einen fünfminütigen Monolog darüber, was er alles für Frauen* tut. Nachdem also der Vorschlag eines zehnköpfigen Vorstands vom Tisch war, klinkte sich die ausscheidende Vizepräsidentin in die Diskussion ein. Sie sagte, dass somit nur die Möglichkeit übrigbleibt, dass ein Mann* aus dem Vorstand ausscheidet. Dann richtete sie sich direkt an mich und fragte, ob ich es denn befürworten würde, wenn der Finanzreferent oder ein Kollege aus dem studentischen Vorstand, die, wie sie beifügte, allesamt gute Arbeit leisten, ausscheiden müsste. Abschließend ergriff noch der Schriftführer das Wort. Er argumentierte, dass in seinen Augen hier Geschlechterparität bedeuten würde, dass das Geschlechterverhältnis im Vorstand dem Verhältnis weiblicher zu männlicher Soziologieprofessor*innen in Österreich entsprechen sollte und wir daher eigentlich sowieso viel zu viele Frauen* im Vorstand wären.
Ich hatte zwar mit Gegenwind gerechnet, fühlte mich aber dann doch sehr von der Art und Weise der Gegenargumente überrumpelt. Diese Argumente haben aber (wie ich später erkannt habe) System und man kann lernen sich dagegen zu wehren. Was mir dabei persönlich sehr geholfen hat, war „Genderfit argumentieren!“ der Stadt Wien. Hier habe ich gelernt, dass jemand, der:die sich gegen Sexismus wehrt und nicht seine:ihre zugewiesene Rolle akzeptiert, in der Regel selbst zum „Problem“ ernannt wird und starken sozialen Druck erlebt. Dass es dabei wichtig ist, auf sich selbst zu achten. Dass man zwischen legitimer Kritik und Diffamierung unterscheiden sollte. Dass laut Duden der:die Sexist:in in der Rechtfertigungspflicht steht bzw. die Bringschuld hat. Dass Widerstände auch Salonfähigkeit und Fortschritt bedeuten. Dass nicht Erklären, sondern Nachfragen und aktives Zuhören Werkzeuge der Überzeugung sind. Dass Ruhe bewahren, weniger argumentieren, das Tempo entschleunigen die Kunst ist. Dass man Allianzen eingehen sollte und Männer* Verbündete sein können.

 

 

Der Zeichensaal

Einen der drei Burschen aus der politischen Gruppierung, die ich in meiner ersten Geschichte „Der Vorstand“ kurz erwähnt habe, begegnete mir in Wien wieder, da er mit einer Bekannten liiert war. Er war nach Wien gezogen, da ihm Graz und die hiesige Architekturszene nicht mehr groß genug erschien, so zumindest sein Narrativ. Er hatte für Wien große Pläne. Nachdem aber der erhoffte Studienerfolg in Wien nicht einkehrte, entschloss er sich wieder zurück nach Graz zu ziehen. Am Vorabend des Umzugs erklärte er die Beziehung zu meiner Bekannten kurzerhand als beendet.

Als ich selbst wieder nach Graz zog, begegnete mir der Beschriebene wieder. Über eine Freundin lernte ich seine neue Partnerin kennen, die mich wiederum in den „Zeichensaal“ zu einer Feier einlud. Der Zeichensaal ist bekannt für seine Partys. Sein eigentlicher Zweck liegt aber darin, dass er Architekturstudierenden einen Platz zum Studieren, Arbeiten und kreativen Austausch liefert. Mir persönlich war der Zeichensaal immer suspekt, da mir immer wieder machoide Mythen, die um ihn kreisten, unterkamen. So hieß es etwa, dass die „Langzeitstudierenden“ im Zeichensaal (Ü30, denen auch der Beschriebene angehörte) zu Semesterbeginn die Studienanfängerinnen Anfang 20 bezirzten und sich daraus eine Art Spiel machten. Das deckte sich auch mit meiner Beobachtung, so war z.B. die Partnerin des Beschriebenen selbst erst Anfang 20.

Bei der besagten Party handelte es sich um die Abschlussfeier eines dieser Ü30iger. Ein anderer Freund erzählte mir auch von der Party, weil er mit seiner Band die Anfrage bekam, dort zu spielen. Bei der Feier selbst erzählte mir die Partnerin des Gefeierten, dass sie die letzten Wochen gemeinsam Tag und Nacht an seiner Diplomarbeit gearbeitet hatten. Die Müdigkeit, die sich daraus ergab, sah man ihr auch an. Deswegen wunderte es mich nicht, dass sie bald den Heimweg antrat. Wochen später wurde mir erzählt, dass der Gefeierte beim Aufräumen am nächsten Tag mit einer Zeichensaalkollegin fremdging. Alle im Zeichensaal schienen davon zu wissen, nur die Partnerin hatte davon keine Ahnung. Loyal gegenüber dem Gefeierten hielten alle den Mund. Als die Partnerin dann Jahre später fremdging, wurde sie als Hure verunglimpft. Nach der anschließenden Trennung haben dann andere Burschen aus dem Zeichensaal Anspruch auf das neue „alte“ Freiwild geäußert.

Ich frage mich, wie diese Kultur im Zeichensaal entstehen kann. Die Leute, die ich aus dem Zeichensaal kenne, erschienen mir von ihren Ansichten her progressiv und auch feministisch. Die Einstellung und das Verhalten der Gruppe als Ganzes driften aber klar auseinander – im soziologischen Fachjargon würde man das als kognitive Dissonanz eines Kollektives bezeichnen. Wie kann es zu einer solchen informellen Hierarchie und Kultur kommen? Letztens wurde mir sogar erzählt, dass einer dieser Alpha-Typen seiner Freundin einen Zeichensaalplatz organisiert hat, obwohl diese nicht einmal Architektur studiert; Nicht einmal die formelle Voraussetzung für einen Zeichenplatz (ein Architekturstudium) schlechthin ist notwendig, wenn es einer dieser Typen wünscht. Nach außen hin geben sich die Leute dort sehr progressiv, nach innen herrscht dort aber eine ziemlich ausgeprägte machoid-patriarchale Unkultur. Wie kommt es zu diesen Ambivalenzen, frage ich mich?

Wenn man sich Publikationen der österreichischen „Avantgarde“ der Architektur aus den 1960igern und -70igern ansieht, sieht man, wie Frauen* zu Objekten gemacht wurden. Der Platz der Frau* ist auf dem Schoß des Mannes* (siehe Abbildung). Vielleicht sind der heutige Sexismus und seine verschleierten Formen noch Auswüchse dieser Zeit, wo Sexismus noch augenscheinlicher war? Wer hat denn die ausgebildet, die heute ganz oben in der formellen Hierarchie des Architekturstudiums stehen? Ist es verwunderlich, dass so eine Kultur herrscht, wenn sich ein Institutsleiter bei seinen Entwürfen mit Vorliebe ästhetischen Elementen aus den 1950igern und -60igern bedient, einer Zeit, wo die Frau* quasi Besitz des Ehemannes* war?
war?

Abbildung 1: Der Platz der Frau anhand von Mind Expander 1969 von Haus-Rucker-Co (Zamp Kelp G./Pinter K. 2021. HAUS-RUCKER-CO. In: Marlene Obermaier. enjoy picks: Haus-Rucker-Co. mumok collects.
URL: https://www.mumok.at/de/blog/enjoy-picks-haus-rucker-co [ 11.02.2022].)

 

Der Anruf

Eines Tages, es war noch während meiner Studienzeit in Wien, bekam ich einen anonymen Anruf. Am anderen Ende der Leitung war eine mir unbekannte weibliche Person, die sich mit „Hör auf, mir nachzustellen!“ meldete. Ich verstand nur Bahnhof. Ich fragte wer denn da dran sei. Als Antwort bekam ich, dass ich das ganz genau wüsste. Ich hatte keine Ahnung, ich kannte die Stimme nicht, sie war mir unbekannt. Dann fragte ich, ob das nicht ein Irrtum sei, ob sie sich verwählt hat, eigentlich wen ganz anderen meint. Darauf nannte sie meinen Namen. Ok, kein Irrtum. In Gedanken ging ich die Mails und Facebook-Nachrichten der letzten Wochen durch, die so dermaßen missverstanden hätten werden können. Mir fiel im besten Willen nichts ein. Das Gespräch dürfte noch ein, zwei Minuten angedauert haben, ehe mir klar wurde, dass es sich hierbei um einen „Scherzanruf“ handelte. 1. April war nicht, das Gespräch fand im Herbst statt. Ich legte auf und bekam zum Glück nie wieder einen Anruf dieser Person.
Im Anschluss fragte ich mich, wer sich denn so einen derben Scherz mit mir erlauben könnte. Was war der Anlass? Mir fiel bloß eine Geschichte ein, die womöglich zu diesem Anruf hätte führen können. Ich machte in dem Semester eine Gruppenübung mit einer Studienkollegin. Die brachte noch eine weitere Kollegin in die Gruppe mit ein. Die war mir nicht sonderlich sympathisch, da ich schräge Geschichten um sie bereits aus meinem Bekanntenkreis kannte. Sie war Teil einer Gruppe, die für ihre grenzwertigen Aktionen bekannt war. Gerüchte über die Truppe gingen um, wie, dass eine aus der Gruppe im Auftrag einer anderen bei der Mutter des Exfreundes anrief und behauptete, dieser würde im Krankenhaus liegen. Ziemlich derb, ziemlich toxisch. Trotzdem willigte ich ein auch mit ihr zusammenarbeiten zu wollen. 

Im Laufe des Semesters stellte sich heraus, dass sich mein Programm für dieses Semester nicht umsetzen lässt. Ich hatte noch zwei weitere große Projekte auf der Uni und dann kam noch unerwartet das Jobangebot herein, eine Ausstellung in Graz zu koordinieren. Das wollte ich mir nicht entgehen lassen. Long story short, die Gruppenkolleginnen kickten mich aus der Gruppe hinaus. Sie hatten dieses Semester nur das eine Projekt und wollten dementsprechend viel Zeit darin investieren. Zeit, die ich mir dafür nicht nehmen wollte. Also einigten wir uns darauf, dass ich abbreche. Die betreuende Professorin fand das weniger toll, gab mir einen Fleck und ließ das vermutlich auch die Kolleginnen spüren. Zusätzlich fragte ich noch andere Studienkolleg*innen, ob sie bei der Ausstellung mitarbeiten wollen, was vermutlich auch nicht so gut bei den zwei ankam. Das war die einzige Story, die mir einfiel, die womöglich zu diesem Anruf geführt haben könnte. Beweisen kann ich das nicht. Sollte es aber so gewesen sein, finde ich nicht, dass deren Ärger diesen Anruf legitimiert. Mich hat der Anruf sehr verletzt, er hat Misstrauen geschürt und er beschäftigt mich auch heute noch.

Ich wurde gebeten den Zusammenhang dieser Geschichte zu Sexismus noch stärker herauszuarbeiten, klarer zu machen, warum das für mich unter Sexismus fällt. Die Sache ist die: Männer sind Sexisten. Um es genauer zu sagen, unserem gesellschaftlichen Ideal von Männlichkeit hängt etwas Sexistisches an. Mein Problem ist, ich bin ein Mann, identifiziere mich als solcher, möchte aber kein Sexist sein und nicht als solcher gesehen werden. Genau mit dieser Angst wurde bei diesem Anruf gespielt. Aufgrund meines Geschlechts wurde ich in diese Schublade gesteckt, als vermeintlicher Täter und Sexist verunglimpft. Das ist für mich Sexismus, weil das auf Basis meines Geschlechts passiert ist. Es ist sicher nicht derselbe Sexismus, gegen den Frauen* kämpfen müssen, und in seiner Intensität nicht vergleichbar. Wenn ich mir die Geschichten der Kolleginnen dieses Schreibwerkstatt durchlese, wird mir bewusst welche Privilegien ich als Mann* besitze: Mir hat noch keine*r ungebeten am Arsch gegriffen, penetrant auf meine Brust gestarrt oder gesagt, wenn ich wirklich liberal bin, soll ich mit ihr oder ihm schlafen. Jeder Vergleich wäre anmaßend und kein Beitrag zur Gleichstellung von Frau* und Mann*. Worin ich aber einen Beitrag sehe, ist zu verstehen, dass es Alternativen zu diesem gesellschaftlichen Ideal der Männlichkeit gibt. 

Die sogenannte sorgeorientierte Männlichkeit, auch caring masculinity genannt, wird als mögliche Antithese zur hegemonialen oder auch toxischen Männlichkeit, also dem derzeitigen gesellschaftlichen Ideal von Männlichkeit, gehandelt. Caring masculinity tritt gegen Sexismus auf und für die Gleichstellung von Frau* und Mann* ein. Worte sind dabei schön, wichtiger sind dabei aber Taten. Zentral halte ich dabei eine Abkehr vom Erwerbszentrismus von Männern*. Bisher war es so, dass die Familie oder das Private der Erwerbsarbeit zu folgen hatte – Familie richtet sich also nach der Erwerbsarbeit des Mannes*. Die Zeit ist reif, dass sich das umkehrt: Die Erwerbsarbeit hat der Familie, dem Privaten zu folgen, ist meine Meinung. Das heißt, dass Männer* sich im selben Umfang wie ihre Partner*innen um Haushalt und Fürsorgearbeit in der Familie oder anderen Bereichen kümmern müssen, die Partner*innen im Gegenzug im gleichen Umfang Verantwortung für das Haushaltseinkommen tragen. Zwei Monate Karenz gehen oder den Papamonat nehmen, sich dafür feiern lassen, geht sich da nicht aus. Eine Vollzeitstelle, vielleicht sogar mit Überstunden, ist unrealistisch mit Kleinkindern, der Tag hat nur 24 Stunden. Die Karriere, das Herzstück des derzeitigen Ideals der Männlichkeit, wird darunter leiden, das muss man dabei in Kauf nehmen. 

Das Gute daran ist, dass man Zeit für die eigenen Kinder, Angehörige, die Partnerschaft und Interessen abseits der Erwerbsarbeit hat und sich ein Stück weit den Zwängen der hegemonialen oder toxischen Männlichkeit entziehen kann, indem Verantwortung im Privaten wie auch Erwerbsleben gemeinsam mit dem*der Partner*in geschultert wird. Gelebte Gleichstellung halt, der Schlüssel zum gutem Leben, denke ich.