Sarah S.

36, in einer Beziehung mit Philippos, keine Kinder, selbstständig


KennenLernen

Ich hätte mich die letzten Jahre als mutige Frau bezeichnet. Wobei ich durch den Ort und die Zeit meiner Geburt eigentlich ziemlich gute Voraussetzungen habe, um mutig zu sein. Ich habe wenig zu verlieren. Ich bin von Familie und Staat wohlbehütet.

Und es war nicht so, dass ich mich in den letzten Jahren getraut hätte von Klippen zu springen, ohne zu sehen, wo ich aufkommen würde. Es war eher mutig im Sinne von, Dinge auszuprobieren. (Kleine) Risiken eingehen. Auch mal gegen den Strom schwimmen. Ich wollte alles: Viel arbeiten, viel lernen, viel von der Welt entdecken, viel genießen. Ich hatte hohe Ansprüche an meine Beziehungen. Meine Freundschaften und Partnerschaften mussten bereichernd sein. Ich wollte in keine Geschlechterrolle gesteckt werden. Ich wollte mir mit meinen Partnern die Aufgaben teilen. Irgendwann wollte ich Kind und Karriere. Natürlich.

Während viele Frauen in meinem Alter sich auf die Familienplanung konzentriert haben, habe ich berufsbegleitend studiert. Ich habe mutig einen fantastischen Job hingeschmissen, weil ich mit der Kultur im Unternehmen nicht zufrieden war. Ich war allein auf Reisen und habe die schönsten Strände von Australien besucht. Ich bin mit Anfang 30, in einer stabilen Beziehung lebend, allein in eine andere Stadt gezogen. Ich habe mich mutig selbstständig gemacht und zwei Unternehmen gegründet. Ich habe einen Podcast, in dem ich über intime Themen spreche und ich habe mich mutig aus Beziehungen verabschiedet die gut, aber nicht fantastisch waren. Meine Entscheidungen waren nicht immer schlau, aber sie waren alle lehrreich.

Und dann war ich Mitte 30. Als ich schwanger wurde wusste ich nicht viel über die Rolle, die da auf mich zukommen würde. Ich war froh, dass mich das Leben damit überrascht hat. Plötzlich war ich Teil einer Gemeinschaft. Ich will nicht sagen, dass ich diese bis dahin gemieden hätte, hatte ich doch auch viele Familien in meinem Umfeld. Aber an den Aufgaben der Eltern war ich nicht sonderlich interessiert. Und plötzlich habe ich zu diesen Menschen den Kontakt gesucht. Vor allem zu den Müttern. Sie nach ihren Geschichten und Erfahrungen gefragt. Meine Freunde, meine Eltern, Tanten, Großeltern waren so glücklich. Nun würde auch ich diese Rolle kennenlernen. Meine Entscheidungen der letzten Jahre waren eine Spielerei. Nun würde der Ernst des Lebens beginnen. Meine Oma bestärkte mich mit den Worten: „Endlich bist auch du angekommen.“

Und ich? Ich bin liebend gerne in diese Rolle geschlüpft. Es hat sich sehr gut angefühlt zu entsprechen.

Es kam zu einer Fehlgeburt und ich bin traurig, weil ich nicht Mutter geworden bin. Ich bin auch traurig weil ich seitdem hin und her gerissen bin. Ich habe in diese neue Rolle hineingeschnuppert und vermisse es Teil dieser Gemeinschaft zu sein.


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Vor gar nicht langer Zeit habe ich einen großartigen Mann kennengelernt. Es war, als hätte ich die letzten Jahre immer wieder Wünsche in eine Box geworfen und als würden diese nun mit einem Schlag in Erfüllung gehen. Meine Vorstellungen umfassten charakterliche Eigenschaften ebenso wie die äußerliche Erscheinung. Wahrscheinlich weiß man mit Mitte 30 einfach schon sehr genau was man will. Und was man nicht will.

Da war er also nun, mein Adonis. Der mich mit seinen Interessen und seiner Intelligenz bei jedem Gespräch aufs Neue überraschte. Ich wollte zu allen Themen seine Meinung hören. Wollte mich von ihm inspirieren lassen. Ich konnte nicht mehr aufhören ihn anzusehen und liebte es, in seinen Armen zu liegen. Er schmiss seinen eigenen Haushalt und hatte einen Garten, um den er sich liebevoll kümmerte. Ich war schwer beeindruckt. Und sehr verliebt.

Jedoch überkam mich eines Tages eine Unsicherheit und diese wurde größer, umso besser ich diesen Mann kennenlernte. Da stimmte doch irgendetwas nicht.
Der Mann kochte leidenschaftlich gerne. Und nicht nur das. Als ich eines Tages frische Pfirsiche mitbrachte, bekam ich am nächsten Tag einen perfekten Pfirsichkuchen, der dazu auch noch mit Rosen dekoriert war. Wer macht den sowas? Also es ist wunderbar. Jeder Aspekt dieser Handlung. Aber der Mann musste doch schwul sein. Diese Gedanken setzten sich fest wie Baumharz, das man nicht und nicht von seinen Fingern bekommt.
Er liebt die Rosen in seinem Garten. Zelebriert es sie zu pflegen. Und er ist sensibel. Unglaublich aufmerksam. Auf sein Äußeres bedacht. Ich habe wenig schwule Männer in meinem Umfeld, aber alles, was ich bis jetzt über schwule Männer gehört habe, passte genau in dieses Bild.

Ich habe es ihm gesagt. Er hat mir zugehört. Es hat uns viele Gespräche gekostet, mir diese Unsicherheit zu nehmen. Meine Einstellung zu ändern. Meine Wahrnehmung.
Man kann bewusst eine Vorstellung haben und trotzdem ist es schwer, diese alten unbewussten Rollenbilder zu überwinden.


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Es sollte ein besonderes Abendessen werden. Nur meine Freundin und ich. In einem neuen Lokal in der Südsteiermark. Teuer. Gut. Mit fantastischem Ausblick.

Schräg gegenüber saßen uns 4 Männer. Offensichtlich waren sie öfter dort. Der Wirt blieb alle paar Minuten am Tisch der Herren stehen, um zu fragen, ob denn alles in Ordnung sei. Sie hatten schon einiges getrunken. Waren laut und sehr präsent. Von Beginn an hatte mich einer von ihnen im Visier. Aber es war nicht wie sonst, wo man diese Blicke bemerkt, sie erwidert oder auch nicht. Diese Blicke haben mich verunsichert. Es war mir furchtbar unangenehm. Ich habe versucht so gut ich konnte auszuweichen. Versucht, mich auf das herrliche Essen zu konzentrieren.

Irgendwann hat mich der Blick getroffen und gleich ein Kommentar: „Prost, schöne Frau“. Und statt einfach wegzuschauen habe ich, höflich und gelernt, zurück gelächelt und als Antwort mein Glas gehoben. Als nächstes hat er die Frage nach meinem Namen gerufen. Über die Köpfe der anderen Gäste hinweg. Und ich? Mein Herz hat geklopft. Ich wollte aus dieser Situation raus. Und statt wegzuschauen und souverän irgendeinen blöden Spruch zu antworten, habe ich gelächelt und „Sarah“ gerufen.

Das Starren hat nicht aufgehört. Ich wusste, wenn ich nur noch ein bisschen mehr vermeintliches Interesse zeige, sitzt einer der Herren bei uns. Ich wollte ihn nicht kennenlernen. Also musste ich mich darauf konzertieren wohin ich meine Aufmerksamkeit lenke.
Mein Essen hat nicht geschmeckt. Vor dem Dessert habe ich meine Freundin gebeten zu gehen und einen Moment gesucht, unbemerkt aus dem Lokal zu verschwinden.

Am Nachhauseweg im Auto war das Schlimme meine Scham. Ich habe mich dafür geschämt, dass mich ein paar betrunkene Männer, die immer auf Abstand geblieben sind, so aus der Bahn geworfen haben. Es ist eigentlich nichts passiert.
Und trotzdem hat mir die Situation Angst gemacht.