aus*rollen
Hintergrund
Noch vor 50 Jahren waren die Rollenbilder von Mann und Frau fest einzementiert. ER spielte in blauen Hosen mit Autos, SIE im rosa Kleidchen mit Puppen, nach der Matura lernte ER einen Beruf, während SIE sich einen Mann suchte, der genug Geld verdiente, um SIE und ihre hoffentlich zahlreichen Kinder zu erhalten. ER machte Karriere und mehrte sein gesellschaftliches Ansehen, SIE sorgte sich frei von finanziellen Sorgen um Kinder, Haushalt und Familie. Die Ehe garantierte in einer Zeit, in der Scheidung verpönt war, die finanzielle Absicherung und gleichzeitig Abhängigkeit der Frau und die Entlastung des Mannes von Alltagsorganisation, Care- und Haushaltsarbeit.
Ein binäres Geschlechtermodell regelte die Aufgabenverteilung zwischen Mann und Frau bis ins Detail.
Mit der zunehmenden Emanzipation der Frau und der Infragestellung der heteronormativen Geschlechteraufteilung kam es spätestens seit den 70er Jahren zu einem Aufweichen der klassischen Rollenbilder.
Aber wo stehen wir diesbezüglich heute wirklich?
Das Projekt
„aus*rollen“ ist eine kulturelle Intervention zum Thema Alltagssexismus, dem sich mittels der Kulturtechnik des schriftlichen Erzählens bzw. Storytellings angenähert wird. Es zeigt Erwartungen, Probleme, aber auch Vorteile und Freiheiten auf, mit denen Menschen in einer Gesellschaft konfrontiert sind, deren binäre
Geschlechtermodelle reflektiert und neu definiert werden. Es geht um die Fragen, wie weit unser Geschlecht Einfluss auf unseren Handlungsspielraum als Individuum hat und wie sich das im (Beziehungs-) Alltag niederschlägt. Erlebnisse und Erfahrungen, Schwierigkeiten und deren Lösungen werden in persönlichen Geschichten erzählt.
Aus Erfahrung wissen wir um die Qualität und Vorzüge biografischen Schreibens und unterstützen daher unsere Teilnehmer*innen, ihre Erlebnisse und Gefühle in Ruhe zu Papier zu bringen und eventuell auch immer wieder zu überarbeiten. Die Mitwirkenden werden bei einem Kickoff-Workshop einen Leitfaden zur Annäherung an ihre persönlich relevanten Themen bekommen. Bei den folgenden Workshops soll den Schreibenden die Möglichkeit des gemeinsamen Reflektierens und des Austauschs untereinander geboten werden. Nach drei Schreibphasen und Feedbackrunden, in denen gezielt und individuell auf bestimmte Fragestellungen und Vertiefungsmöglichkeiten hingewiesen wird, sollen die Erzählungen fertiggestellt werden. Das Einholen von weiteren Feedbacks ist auf Wunsch jederzeit möglich.
In einem weiteren Schritt findet eine Befragung von Expert*innen statt, die die persönlichen Erzählungen ergänzen bzw. möglicherweise konterkarieren. Der wissenschaftliche Input evaluiert die
qualitativen Berichte und setzt das individuelle Erleben in den Kontext aktueller Genderforschung.
Folgende Forschungsfragen sind für uns dabei interessant:
● Welche Erfahrungswerte gibt es? Wo liegt Konfliktpotenzial verborgen, wo Veränderungspotenzial?
● Wie wäre ein emanzipiertes Miteinander zwischen den Geschlechtern im Sinne einer feministischen Grundhaltung möglich?
● Wo und woraus ergeben sich Benachteiligungen und Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts?
● Welche geschlechterspezifischen Zuschreibungen, Zuordnungen und Wertungen lassen sich aus den erhobenen Erfahrungswerten ablesen?
● Welche Lösungsansätze oder best practice Beispiele lassen sich finden?
● Lässt sich aus den individuellen Geschichten auf eine kollektive Geschichte schließen?
● Wie weit ist ein Bewusstsein für geschlechterspezifische Diskriminierung vorhanden?
Um die individuellen Geschichten und den wissenschaftlichen Input öffentlichkeitswirksam zu präsentieren, werden zwei eigenständige Publikationsformen gewählt:
Die persönlichen Berichte der befragten Personen werden anonym gemeinsam mit den Statements der Expert*innen auf der Projektwebsite veröffentlicht. Den Besucher*innen der Seite soll die Möglichkeit geboten werden, in den Lebensalltag anderer Menschen einzutauchen und ihre Probleme und Lösungsansätze kennenzulernen.
Das Hörspiel als zweites Medium wählt einen künstlerischen Zugang. Die Projektleitung gestaltet einen ca. 50minütigen Audiobeitrag, in dem sie die dokumentarischen und wissenschaftlichen Beiträge, gelesen von professionellen Schauspieler*innen, zu einem atmosphärischen Stimmungsbild in Sachen Genderfragen montiert.
Mit dem angeregten Diskurs und der erstrebten Bewusstseinsbildung sollen weitere Puzzlesteine auf dem Weg zu gelebter Gendergerechtigkeit gelegt werden.
Unsere Fördergeber*innen:
Land Steiermark Bildung, Gesellschaft, Gesundheit und Pflege
Stadt Graz Kulturamt
Stadt Graz Frauen & Gleichstellung
Unsere Kooperationspartner*innen: