Elisabeth

43, verpartnert, selbstständig, angestellt und ehrenamtlich im Sozialbereich tätig

 

Im Abseits stehen…

„Ich wünschte ich wäre ein Bub…“, wie oft hatte ich den Gedanken als Kind, nach einem langen Tag draußen im Freien. Die Identitätskrise war perfekt und intensiv da, genau wie sie im Buche steht. Ich möchte auch gerne behaupten können, dass mein Berufswunsch mit 12/13 Jahren Fußballerin gewesen wäre. Leider kam hier nie ein Funken Hoffnung auf, da mein Platz am Rande des Fußballplatzes war. Es fehlten die role models, keine Frau, kein Mädchen war am Fußballplatz zu sehen. Mein Vater musste sich regelmäßig für mich ins Zeug legen, damit ich wenigstens im Tor stehen durfte… ich verstand die Welt nicht mehr… das Gefühl der Duldung war vorherrschend. Die Erinnerung an ein paar sozial kompetentere Jungs, welche mich trotzdem manchmal eingebunden hatten, versöhnt mich mit der Zeit von damals. Seit dieser Zeit habe ich Gefallen daran gefunden zuzuschauen, ich blieb meinem Interesse an dieser Sportart treu und beschränkte mich auf die Analyse und die Freude, gute Spiele anschauen zu können. Im „Abseits stehen“ war mir schnell ein Begriff…

Auf der Suche nach Zugehörigkeit…

Das weitere Leben lehrte mich in der Realität, was es bedeutet abseits zu stehen. Aussagen wie: „An dir ist ein Bua verlorengangen“ und später „Du bist wie ein Mann“ ließen meine Identitätskrise um einige Jahre länger andauern… Einsamkeit und Unsicherheiten prägten meine Jugendzeit… das Paradoxe ist, dass mir in dieser schwierigen Zeit die klassischen erwünschten Geschlechterstereotypien Halt gegeben haben, obwohl ich innerlich den Kampf mit mir austrug. Nach außen versuchte ich zu entsprechen.

Die Erlösung…

„So schauen sie gar nicht aus“… Wie sieht Frau denn aus, wenn sie Frauen liebt? Menschen brauchen Orientierung und haben bestimmte Vorstellungen im Kopf, und ich genieße es mittlerweile, ihnen diese klassischen Bilder im Kopf zu verrücken… Gleichzeitig möchte ich nicht nochmal das Gefühl der Duldung, wie am Fußballplatz als Kind, erleben müssen. Ich bin stolz, Frau zu sein. Es fühlt sich gut an, offen zu meinem Leben stehen zu können. Trotzdem lösen solche Aussagen das Gefühl bei mir aus, einer Minderheit angehörig zu sein.

Minderheiten gibt es viele…

Natürlich wählte ich damals einen klassischen Frauenberuf und landete im Sozialbereich, in welchem Männer bekanntlich eine Minderheit darstellen. Es macht mich heute noch wütend und traurig, wenn ich an diese eine Situation in meinem beruflichen Alltag im Jahr 2017 zurückdenke. Ich sitze in meinem Auto im Dunklen am Parkplatz nach einem Arbeitstermin mit meinem neuen Kollegen. Beide sind wir erst seit Kurzem beim selben Arbeitgeber für dieselbe Tätigkeit angestellt. Mit einem großen Unterschied, er wurde bei schlechterer Qualifikation einer höheren Gehaltsstufe zugeordnet. Wow, wie bin ich heute noch wütend.
Natürlich musste mich mein Arbeitgeber im Nachhinein gleichstellen, das habe ich umgehend eingefordert, jedoch bleibt ein Beigeschmack. Der Mangel an Männern im Sozialbereich musste als Entschuldigung herhalten…

Qualifizierung als Familie …

„Wer von Ihnen hat die Bohrmaschine?“, solche und noch weitere unangepasste Fragen mussten wir uns im Zuge der Qualifizierungsmaßnahme zur Pflegefamilie gefallen lassen. Als ob es nicht genügen würde, dass uns lesbischen Frauen im ersten Verpartnerungsgesetz von 2010 explizit verboten wurde, Kinder und Stiefkinder zu adoptieren und medizinisch unterstützte Fortpflanzung zu bekommen. Das hat mich wütend und traurig gemacht und heute möchte ich es teilen, damit so etwas nie wieder in Gesetze verpackt wird. Ich war gerade in meiner ersten langen Beziehung und das Thema Familie und Kinderwunsch am Aufflammen. Vielleicht spielte dieses Verbot eine kleine Rolle in meiner Entscheidung kein leibliches Kind zu gebären. Obwohl das Hadern nach dem Outing groß war, wie rechtfertige ich jetzt mein Dasein in der Gesellschaft… Frau = Mutter … und wieder mal eine Auseinandersetzung mit mir und der Welt… Auf der Regenbogenparade 2010 lautete das Motto „We are family“. Seitdem trete ich selbstbewusst für alle Formen von Familie ein und möchte Vorbild sein, dass es da keine vorgefertigten Modelle braucht. Es ist mir selbst überlassen, wo und wie ich mich zugehörig fühle. Ich habe/hatte so oft das Gefühl, dass ich mich rechtfertigen muss. Meine Frau und ich als Familie, haben uns für die Elternschaft auf Zeit entschieden – Krisenpflegeeltern können Brücke sein und einen sicheren Ort für verletzte und verunsicherte Kinder geben. Dass es dazu eine Bohrmaschine braucht, war mir nicht bewusst…

Familie sein…

„Eine Mama hat die Tür aufgemacht, aber da war auch noch eine zweite Mama!“ … mit dieser Aussage waren unsere Nachbarseltern konfrontiert, als ihre Kinder unser 10-jähriges Krisenpflegekind das erste Mal bei uns abgeholt hatten. Das war es dann auch schon wieder. Völlig unspektakulär gingen die Kinder mit dem Thema „Anderssein“ um. Es macht mich heute noch zufrieden und glücklich, miterlebt zu haben, wie schnell für Kinder Normalität hergestellt werden kann. Für unser 10-jähriges Krisenpflegekind war es wichtig, dass eine Person, welche Sicherheit und Geborgenheit ausstrahlt, rund um die Uhr da war. Ich komme zum Schluss, dass Erziehung geschlechtsneutral ist und sein muss, es sind Eigenschaften, Werte, Normen und Gegebenheiten, welche Orientierung geben.