Georg
38, verheiratet mit Lilli, 1 Kind, arbeitet im Sozialbereich
Meine Heavy Metal Zeit
Eigentlich weiß ich ja nicht, was mit Heavy Metal genau gemeint sein soll. Die schweren Gitarrenriffs und scheppernden Trommeln oder doch die harten Typen, die sie spielen? Ihre stählernen Muskeln, die Stahlkappenstiefel, die meterlangen Mäntel und der silbern schimmernde Schmuck an den Jacken? Oder sind es die schwarzen Alben Cover mit blutroten Mondnächten und unheimlichen Kreaturen? Man muss wohl schon irgendwie angewidert vom normalen Leben sein, um die Dunkelheit einmal ins Herz zu schließen. Aber so einfach lässt sich natürlich nichts erklären. „Heavy Metal don’t mean Rock’n Roll to me“ machte sich Johnny Cash in einem Song darüber lustig, der aus der Sicht eines in der Stahlindustrie tätigen Arbeiters den wahren „Heavy Metal“ als die harte Arbeit echter Kerle charakterisiert. Die Härte könnte vielleicht wirklich als eines der verbindenden Elemente all dieser oft als typisch männlich bezeichneten Phänomene gelten. Jedenfalls ist sie irgendwie schon ein Thema für mich, als ich mit meinen 17 Jahren in einer Hardrockkneipe sitze und hinter dem Zigarettenrauch, dem großen Bierkrug und meiner weiten Lederjacke zu verstecken trachte, dass ich gar kein so harter Typ bin. Warum ich das gemacht habe, weiß ich heute nicht mehr so recht. Wahrscheinlich wollte auch ich irgendwo dazugehören; war es mir zu unheimlich so viel allein zu sein. Ich glaube mit 17 hatte ich wohl endgültig genug davon keine Freunde zu haben und wollte mich in die Welt stürzen, die ich von meinem Fernseher her zu kennen dachte. Die dunkle Ästhetik sprach mich an. Die düsteren Gesichter, das kraftvolle Singen, die Fantasy Symbole – all das kannte ich seit meiner Kindheit. Das Bubenspielzeug in den 1980ern waren He-Man und Skeletor. Der strahlende Muskelmann gegen den entstellten Skelettkönig und seine Monster. Es fühlte sich ein bisschen so an als ob ich in der Gesellschaft meiner Metal Freunde nicht erwachsen werden müsste. Die überstrapazierte Idee vom Mann als starken Helden. Auch im Kino läuft der Terminator und Rambo. Aber das dass ein gar zu naiver Mythos für das Leben ist, dämmert uns Halberwachsenen damals doch schon irgendwie. Nur mit reichlich Biertrinken lässt sich das deprimierende Nachdenken abstellen.
Ich habe aber noch ein spezielles Problem: Es fühlt sich so an als ob ich auf einem Undercover Einsatz wäre. Wenn jemand merkt, dass ich unter meiner Jacke keine Muskeln habe, sondern dünn und unsportlich bin, dass ich Angst vor den betrunken johlenden Halbstarken am Nachbartisch habe, dann fürchte ich ausgeschlossen zu werden.
An jenem Abend wird Manowar gespielt. „Whimps and Posers, leave the hall“ heißt es im Refrain. Mein Freund Alex kann den Text auswendig und singt mit düsterer und unfreiwillig krächzender Stimme laut mit, während er immer wieder mit seinem Bier auf den Tisch klopft. Das ist wohl seine Philosophie, denn tatsächlich schimpft er ständig über Weicheier und Idioten, die ihm das Leben unnötig schwer machen und nicht wissen worum es eigentlich geht. Mich und die anderen respektiert er nur, solange wir ihm nicht widersprechen, denn er liebt es Bewunderer um sich zu scharen. Leider finde ich nun schon länger das meiste, was am Tisch gesagt wird, unaushaltbar dumm und habe immer weniger Spaß an diesen Samstagabend Ritualen. Ein paar Monate davor hatte ich noch Angst davor etwas zu verpassen, wenn ich in meinem Alter am Samstagabend nicht in die Stadt gehe. Dann bin ich mit einem Klassenkollegen mit in die aufregende Metalwelt gegangen. Das Herumziehen in der Stadt in einer Gruppe von 5 bis 10 Leuten berauscht mich kurzzeitig sogar. Es ist ein Gefühl von Stärke hier mit dabei zu sein. Die gehassten Erwachsenen scheinen mich so nicht mehr erreichen zu können. Aber dass mich die Dynamik des Ganzen an Filme wie „Die Welle“ erinnert, beunruhigt mich doch.
„Noch ein Bier! Trink endlich aus!“ schreit mich Alex an. Leider ist mir aber immer schneller schlecht vom Trinken als den anderen. Ich kann nur passen, was mir wieder einmal Gelächter einbringt. Einmal im Park fing plötzlich die ganze Runde an sich gegenseitig zu schubsen. Wer bleibt am geradesten. Als ich beim ersten Schupfer am Boden lande finden das alle zum Brüllen.
Immerhin kenne ich alle Bands, die besten Alben und Songs. Das bringt tatsächlich Pluspunkte. Als einmal einer von der Runde komplett depressiv ist und ich der einzige bin, der ihm zuhört, sagt der mir plötzlich überschwänglich, dass er so froh ist mich getroffen zu haben. Aber solche Dinge lassen sich in diesem Kontext nur schwer halten. Nächste Woche lacht er mich wieder aus.
Irgendwann bin ich einfach gegangen. Ohne dass es jemand großartig bemerkt hätte.
Natürlich bin ich heute froh, dass ich das Weite suchte. Aber das ist aus der Perspektive von jemandem, der inzwischen nicht mehr alleine ist. Aber was mich heute noch gruseln lässt: Hätte ich länger mitgemacht, wenn ich besser dazugepasst hätte? Wenn ich mehr Bier vertragen hätte und alle mit einer Hand umschmeißen hätte können? Was wäre aus mir geworden? Ich sehe mich mit einem Schwert auf die dunklen Schergen losstürmen – angestachelt vom Beifall meiner Freunde erkenne ich zu spät, dass es sich um wehrlose Menschen handelt und ich der arme Irre bin.
Einige Metalbands entwickeln sich mit den Jahren weiter. Oft kommen auch andere Instrumente dazu, werden die metallischen Riffs nicht mehr so exzessiv eingesetzt wie am Anfang. Überhaupt ist die Szene seit 1999 komplexer geworden, so wie man sich heute auch leichter tut im Fernsehen etwas anderes als Rocky und Co zu finden. Härte kann in manchen Situationen auch wichtig sein. Eliud Kipchoge lief beim Marathon weiter, obwohl seine Schuhe ihm weh taten, und gewann. Wenn man das Heavy Metal nennen will, bin ich wieder dabei. Aber Männer, die sich selbst für die größten Männer halten und alle anderen diskriminieren, hat es schon viel zu viele gegeben. Sie haben die Geschichte der Menschheit mit ihren Kriegen genug vergiftet. Es muss auch eine andere Art geben seine Männlichkeit zu leben als den Kampf. Den anderen in seiner Andersartigkeit zu akzeptieren und auf ihn sogar noch zuzugehen – das erfordert viel – auch das ist Heavy Metal.
Die Freiheit der kleinen Prinzessin.
Fasching 1985: „Und als was möchtest du dich verkleiden?“ – „Prinzessin!“ Kurzes, betretenes Schweigen. „Du meinst bestimmt Prinz! Ein Bub ist ein Prinz und keine Prinzessin.“ – „Nein, Prinzessin!“
So ähnlich muss die Diskussion mit meinen Eltern ausgeschaut haben, als ich mich mit meinen zwei Jahren am Faschingsdienstag unbedingt als Prinzessin verkleiden wollte. Meine Mutter fand das ganz lustig und besorgte mir auch gleich ein Kostüm. Ich glaube, sie dachte sich dabei nicht weiter etwas. Meinen Vater hingegen dürfte die Sache geärgert haben. Ich weiß auch, dass es um diese Zeit herum eine hitzige Diskussion darum gegeben hatte, was für Spielzeug ich bekommen sollte. Das ich mir einen rosaroten Mixer ausgesucht hatte, war da der Stein des Anstoßes gewesen. Ein Bub hat mit Bubenspielzeug zu spielen, damit er sich nicht in eine falsche Richtung entwickelt. Klar, dass mein Vater von der Prinzessinnen-Sache auch nicht begeistert war. Er dachte wohl, dass es seine Verantwortung wäre, meine Entwicklung zum Mann zu überwachen. Immerhin hatte die ganze Familie schon hart auf einen „Stammhalter“ gewartet, als ich Anfang der 80er Jahre auf die Welt kam. Aber letztlich hat er dann an diesem Faschingsdienstag wohl doch ein Auge zugedrückt – oder es ist ihm da etwas entgangen. Jedenfalls durfte ich meine Mama zur Faschingsfeier an der Schule, wo sie Lehrerin war, begleiten, und zwar als weibliche, königliche Hoheit. Leider kann ich mich daran heute nicht mehr erinnern. Ich kenne die Geschichte nur aus den Erzählungen meiner Mutter, die immer ein bisschen stolz darauf zu sein schien, dass sie bei meiner Erziehung manche Sachen trotz des Widerstands meines Papas eingebracht hat. Immerhin weiß ich, dass ich den Fasching als kleines Kind immer sehr gerne mochte. Also liegt die Vermutung nahe, dass ich auch jenen Tag als Prinzessin genossen habe.
Nach diesem Fasching muss jedoch der kleine Georg eine Art Umprogrammierung erhalten haben, die er heute nur noch schwer rekonstruieren kann. Jedenfalls waren meine Einstellungen im Volksschulalter und auch noch eine Weile darüber hinaus alles andere als progressiv. Mit Mädchen wollte ich nicht spielen, denn sie verstanden nichts vom Kämpfen mit den Spielzeugschwertern und wollten stattdessen nur langweilige Sachen machen. Auch beim Fernsehen regte ich mich auf, wenn Mädchenserien liefen. Natürlich interessierte ich mich auch aus Prinzip nicht für Kochen, Handarbeiten oder ähnliche Dinge. Das mag harmlos klingen, doch eigentlich war ich damals sehr wohl dabei, die durchaus frauenfeindlichen Haltungen, die mir die erwachsenen Männer in meinem Umfeld vorlebten, zu übernehmen. Ich verband das Weibliche mit Eigenschaften wie einer übertriebenen Emotionalität und Schwäche und ich fühlte mich als etwas Besseres, weil ich ein Mann war. Es war für mich so, dass wir Männer das Eigentliche sind. Mickey Mouse war der Held für mich und nicht Minnie, die mit einer lächerlichen Schleife im Haar das Eigentliche durcheinanderbrachte. Im Fasching war ich Pirat, Ritter oder Batman. Wenn meine Mama erzählte, dass ich mich einmal als Prinzessin verkleidet hatte, war mir das peinlich und ich tat so, als ob es nicht stimmen würde.
Irgendwann bemerkte ich, dass meine Mutter nicht so sein wollte, wie es von ihr als Frau erwartet wurde. Als wir einmal bei meinem Onkel zu Gast waren, fing dieser deshalb einen Streit mit ihr an. Ich denke, dass ich um die zehn Jahre alt gewesen bin und vieles davon nicht richtig verstand. Weil aber alle Erwachsenen plötzlich so anders waren, prägte sich die Szene bei mir ein und ich habe immer wieder darüber nachgedacht und nachgefragt, um sie besser zu verstehen. Das Gespräch drehte sich darum, dass meine Eltern nur ein Kind hatten, was mein Onkel kritisierte. Für mich war das unverständlich, da ich damals überzeugtes Einzelkind war und mir gar nicht vorstellen konnte, wie es wäre, alles mit jemandem teilen zu müssen. Vielleicht hörte ich deshalb auch mehr zu bei dem Gespräch. Jedenfalls stieg meine Verwunderung noch viel mehr, als mein Onkel dann meiner Mutter die Schuld an dieser Situation gab. Sie habe ihre Arbeit nicht aufgeben wollen, weil sie zu sehr an sich denke und ihrer Pflicht als Frau nicht gerecht werde. Meine Mutter wehrte sich natürlich und sprach von freien Entscheidungen und wies meinen Onkel darauf hin, dass ihn das gar nichts angehe. Komisch daran fand ich auch, dass mein Vater keinen Ton zu der ganzen Angelegenheit sagte, obwohl ihn das alles doch auch direkt zu betreffen schien. Zu Hause gab es deshalb dann auch noch einen großen Krach zwischen meinen Eltern.
Als ich meine Mutter später einmal auf den Vorfall ansprach, konnte sie sich daran nicht mehr im Speziellen erinnern, jedoch an viele vergleichbare Situationen. Für sie war es nichts Außergewöhnliches gewesen – nur eine von vielen sexistischen Ungerechtigkeiten, die sie ertragen hatte müssen. Bei mir bildete sich in der Folge immer mehr die Überzeugung, dass man niemanden auf Grund seines Geschlechts zu einem bestimmten Verhalten drängen dürfe. Jede Prinzessin sollte auch ein Prinz sein dürfen und umgekehrt.
Fasching 2022 – inzwischen bin ich der Vater geworden. Meine kleine Tochter möchte sich dieses Jahr auch als Prinzessin verkleiden. Kurz überlege ich, ob ich es ihr ausreden soll. Irgendwie denke ich, dass das zu konventionell sein könnte. Prinzessinnen gibt es viele bei den Mädchen. „Dein Papa hat sich auch ein mal als Prinzessin verkleidet“, erzähle ich ihr und rechne mit einer verwunderten Reaktion. Tatsächlich findet sie das aber gar nicht komisch und auch nicht besonders interessant. Später spielen wir mit einem Spielzeugeisbären. „Ich denke wir könnten ihn ‚Frosty‘ nennen!“ schlage ich ihr vor. „Nein! Das ist ein Eisbärenmädchen!“ protestiert sie. Mir wird klar, dass ich trotz der neutralen Form des Eisbären sofort geschlossen habe, dass es ein Bub ist. Ohne es zu merken, falle ich manchmal immer noch in die alten Denkmuster zurück, die mir als Kind vorgelebt wurden. Immerhin haben wir im Kinderzimmer auch Mickey und Minnie als Plüschfiguren. Die Begegnung mit den beiden ist für fast jedes Kind immer noch unausweichlich. Zum Glück hat das auf meine Tochter noch nicht abgefärbt, denke ich mir. Mir wird klar, dass ich mir keine Sorgen machen muss, wenn sie eine Prinzessin im Fasching sein will. Ein Jahr davor wollte sie eine Ampel sein. Sie bekam ein Kostüm mit farbigen Kreisen und eine lustige Brille dazu und hatte riesen Spaß in der Kinderkrippe. Sie kann sein, was immer sie sich ausdenkt und ihr alter Vater ist derjenige, dessen Fantasie aus den gewohnten Bahnen ausbrechen sollte.ozialbereich