Gilah

Ich kann nicht ausweichen. Ich bin meine eigene Vergangenheit, wie auch – no,na  – meine Gegenwart. Von der aus schaue ich zurück in den angekündigten ersten Schrank meines Frauseins in meine frühe Kindheit: Prägejahre!? stimmt eigentlich nicht – immer wieder prägte und fortlaufend etwas mein Frausein. Hoch oben – im geistig-kulturellen Überbau – an die siebentausend Jahre Philosophie, der – mag sie noch so klug, gebildet, erhaben die Basis aller weiteren philosophischen Entäußerungen sein – immer der Grundtenor von Entwertung des Weiblichen innewohnte (bis auf ganz wenige Außenseiter, nein keine *innen). Nicht einmal versteckt – sondern Lege artis sozusagen. Keiner meiner VorfahrInnen mütterlicherseits hatte je was mit philosophischen Diskursen zu tun. Die mussten schaun, dass zumindest so viel Futter in den Stall kam, dass die Kuh noch ein wenig Milch gab und genug Kukuruz und Bohnen für die Sterze und ein wenig Roggen fürs Brot da waren. Der reiche Bauer, der ihnen unter Liebesschwüren das Kind – den ledigen Paumpaletsch – angedreht hatte, besaß zwar neben den Ochsen sogar Pferde, aber weder Sokrates noch Schopenhauer kreuzten je seine geistigen Wege. 

Die Ahninnen, die nicht die Sünde der Unkeuschheit des vorehelichen Verkehrs mit einem feschen Bauern begingen, liierten sich mit einem armen Keuschler mit dem Segen der Kirche. Brav, brav.

 Auch diesem hageren Kleinstbauern, der noch immer die Striemen der Züchtigung, die man ihm im Kleinkindalter angedeihen ließ, auf seinem Rücken trug und dessen kärgliche Rationen an Zuwendung ihn zeitlebens kümmern ließen, hat nie erfahren, dass sich ein gewisser Augustinus oder Kant über alles Mögliche, fürderhin Ehrfurchtsgebietende den Kopf zerbrochen und die Schreibfeder stumpf geschrieben hatten. Und dennoch verband sie eine gemeinsame festgefügte Gewissheit – den Philosophen, den satten Bauern, den armen Keuschlern: Sie standen immer höher als die Frauen, sie konnten immer über das Mängelwesen Weib Macht ausüben und das auch legitimiert aus dem Buch der Bücher der Bibel,  dem Talmud, dem Koran. Bücher, die die meisten zwar nicht lesen konnten, aber deren Auslegung von den Vermittlern den Unwissenden in mundgerechten Happen serviert wurde.  Selbst dem größten Deppen war die Minderwertigkeit der Frau begreifbar und selbstverständlich.

 

(Eph 5,21-6,9)
„Ordnet euch einander unter in der Furcht Christi. 
22 Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter wie dem Herrn. 
23 Denn der Mann ist das Haupt der Frau, wie auch Christus das Haupt der Gemeinde ist, die er als seinen Leib erlöst hat. 
24 Aber wie nun die Gemeinde sich Christus unterordnet, so sollen sich auch die Frauen ihren Männern unterordnen in allen Dingen.“

Aristoteles
„Das Weibchen ist nämlich gleichsam ein verstümmeltes Männchen, und die Monatsblutungen sind Samen, aber kein reiner.“/“Das Weib ist Weib durch das Fehlen gewisser Eigenschaften. Wir müssen das Wesen der Frau als etwas betrachten, was an einer natürlichen Unvollkommenheit leidet.“ 

Das Philosophie ist also von oben bis unten nachhaltig durchgesickert, hat sich verfestigt wir Hartzement, Gesetze grundgelegt bis in meine Zeit als junge Frau und wirkt heute in unserem Kulturkreis nach, obschon die Gesetze andere sind (das haben wir Frauen allerdings nicht geschenkt bekommen), sitzt mehr oder minder fest in den Köpfen und schleicht sich in unser Verhalten, das reflektiert zur (fruchtbringenden) Verunsicherung bis Erschütterung wird.

Dieser kleine Schlenker in manch Grundlegendes hat freilich mit meinen frühen Jahren zu tun und mit den Umständen der Zeit, die wie man weiß auf diese oder jene Weise andere sein können.

Wie waren die Umstände? Es war Nachkriegszeit. Den Krieg hatte ich nicht miterlebt, aber die Ruinen in der Innenstadt gehörten zu meiner Kindheit. Wir wären nicht Kinder gewesen, wenn wir sie nicht als umfassenden, spannenden Abenteuerspielplatz für uns genutzt hätten. Egal, ob Mädchen oder Bub, die Mütter hatten kaum Zeit uns zu beaufsichtigen und die meisten der Väter, die uns zurechtbiegen oder zurechtbrechen hätten sollen, waren entweder gefallen oder in Kriegsgefangenschaft oder hatten sich als Besatzungssoldaten, schnell wieder nach dem vergnüglichen Teil, aus dem Staub gemacht.

In unserem Haus in der Schlossergasse lebten in drei Stockwerken und zusätzlicher Mansarde überwiegend Frauen. Einen alleinstehenden Mann gab es, der unbeliebt war und zwei Familien mit Vater, Mutter und Kind. 

Was mir Tag für Tag als kleines weibliches Wesen vorgelebt wurde, waren Frauen, die gemeinsam, die Jahrhunderte alten Holzbohlen aus den Ruinen schleppten, sich dabei über die Verbote hinwegsetzten, denn die einzuhalten hieße frieren. Die Frauen sägten händisch mit den großen Bandsägen, die harten Eichenbohlen in hackfertige Kurzstücke. Da gab es eine richtige Logistik, die ihnen von keinem Mann eingetrichtert worden war. Zwei Frauen sägten, zwei hackten und gemeinsam schlichtete man riesige Stapeln – Mutter meinte immer ganz stolz: Wir werden niemals frieren. Sie war auch zuständig für den Strom im Haus, flickte die Sicherungen, reparierte die Bügeleisen und legte – nur für sie noch nachvollziehbar – kunstvoll Kabelstränge. Eine andere war unschlagbar im Organisieren von Fensterglas und -kitt. Meine Großmutter war zuständig für Schwangerschaften und deren Abbrüche, genauso wie für die noch seltenen Geburten, das Stillen und die erste richtige Säuglingspflege. Und die „Dame der Nacht“, die ziemlich seltsame Wünsche der noch immer vorhandenen wohlhabenden und deshalb vom Krieg verschonten Männer, gegen großzügige Bezahlung erfüllte, die war zuständig für den Bohnenkaffe, den Likör, die Zigaretten, die Pond`s Gesichtscreme und das 4711. Und sie war Expertin für die sehr unterhaltsamen schweinischen Gschichtln, die bei den Frauen Gelächter und oft ungläubiges Staunen auslösten: 

“ Jöh, Deine Kunden san ziemliche Saubartln“. 

Beim Dachdecken standen die jungen Frauen auf den Dachlatten,  lachten über ihre Späße und gönnten sich ein Rauchpause in luftiger Höhe, tief unter ihnen die gepflasterte Straße und der Schutt der ausgebombten Gebäude. Von dort oben gab es auch manchmal einen Zuruf an die auf Ziegelbergen spielenden Kinder, einen kurzen Kontrollblick, ob noch alle vorhanden waren und die älteren Kinder auf die kleineren ein Auge hatten. Mir und meiner Schwester ist nicht in Erinnerung, dass die Frauen bei der Arbeit klagten: „Wenn wir doch die Männer hätten“. 

Ja doch, die meisten wollten schon Männer und verdrehten sehnsuchtsvoll die Augen, wenn Liebesschlager aus den kleinen Radios dröhnten. Männer für Aug in Aug, Romantikdance, Mund an Mund, Ohrgeflüster, Haut an Haut, Stöhn an Stöhn, aber keine Männer, die die Frauen wieder an den angeblich angestammten Platz zurückverweisen, die deutlich machen, dass es „Herr im Haus“ heißt und bei Widerstand zeigen, wo der Bartl den Most holt. 

Die Schuttberge schwanden, die Lebensmittelkarten waren alsbald Geschichte und zum Hamstern mussten nicht mehr endlose Fahrten unternommen werden. Etliche Männer kamen wieder zurück aus dem Krieg. Viele gebrochen, traumatisiert, beschädigt an Körper, Geist und Seele. Die Frauen – so kann ich sagen – nahmen sich der innerlich und äußerlich verletzten Männer an. Befürsorgten sie sozusagen. Sie stellten ihr eigenes Licht gesellschaftlich und privat wieder unter den Scheffel, um die Männer zu stärken, wieder aufzubauen, ihnen Mut durch Anerkennung zu machen. Auch gesellschaftspolitisch wurde der Mann aufpoliert und dem Frauchen die Schürze umgebunden. Bald war der Herr wieder herrlich und die Dame wieder dämlich. Und für mich gab es neue Erfahrungen, die einfach so mir nichts dir nichts in mein Weltbild implementiert wurden. 

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Müßig zu sagen, dass Sexismus alle Gesellschaftsschichten betrifft. Die Ausdrucksformen unterschieden und unterscheiden sich.  Ich ziehe das eine oder andere Sexismusstück aus meinem ersten Schrank der Erinnerungen.
Ich gehörte zur Unterschicht. Wir waren arm – aber schon wie. Mutter war alleinstehend, ich ihr lediges Besatzungskind (sie folglich unterschwellig als „Engländerhur“ eingestuft). Wurde nach dem Krieg meine Auffassung von Frauenwelt noch (als nicht benannte) Frauenpower erfahren, so veränderte sich in den mittleren 1950er Jahren dieses Bild. Wie in einer Collage fügten sich Werbebilder von Plakaten aus viel gelesenen Illustrierten und den
Frauenzeitschriften „Brigitte“ und „Constanze“ in meine Vorstellungen ein: Dauerfrisierte Frauen lächelten dezent geschminkt aus den Seiten, mit schicken Röcken und kecken Schürzen werkten sie in modernen Küchen. Es wurden Tipps gegeben, wie Frau attraktiv für ihren Ehegatten bleibt, wie sie noch effektiver die Wohnung putzt und wie sie dem Mann den Abend so gemütlich wie möglich machen könne. Natürlich hatte sie die Kinder schon längst zu Schlafengehen bereit gemacht und der Mann erledigte seine Vaterpflichten mit einem Gute-Nacht-Kuss für das Töchterchen und einem mannhaften Schulterklopfen für das Söhnchen. Es gab sogar Einrichtungstipps für Frauen, die sich ein eigenes kleines Zimmer erkämpft hatten. Frau konnte erfahren, wie sie noch sparsamer das Haushaltsgeld vom Ehegatten verwalten oder, wenn nicht anders möglich, diplomatisch eine Erhöhung des Wirtschaftsgeldes aushandeln könne. Sie umsorgte alle, sie stand ständig zur Verfügung, dafür öffnete der Mann für sie die Autotür, damit sie stöckelbeschuht auf dem Beifahrersitz Platz nehmen konnte. Das war ihr Platz und nicht der am Steuer, dort saß das Oberhaupt.  
Die eine Woche alten Illustrierten, wurden günstig zur Ausleihe ins Haus gebracht und nach einer Woche wieder abgeholt. Durch sie stellte ich fest, dass es anscheinend unterschiedliche Frauenwelten gibt. Solche, wo Frau durch einen Mann versorgt war und irgendwie einer besseren Klasse angehörten. Und solche, die ohne Ehemann in einer mickrigen Einzimmerwohnung auf einem kleinen Herd den Sterz kochten und nie wussten, wie sie finanziell bis zum Monatsende durchhalten konnten. Die alleinstehenden Mütter hatten häufig ihre Kinder anscheinend ohne Mann zustande gebracht. Das war aber keine besondere Leistung, sondern musste staatlich geahndet werden. Wir wurden befürsorgt: Eine Fürsorgerin mit festen Lederschuhen, einer grauen Strickjacke, einem wadenlangen karierten Rock, begutachtete von Zeit zu Zeit, ob wir Mädchen nicht den gleichen liederlichen Weg wie unsere Mütter wählen würden. Da wurde dann schon mal vorbeugend mit der Erziehungsanstalt gedroht, falls wir auf die Idee kämen nicht vor Einbruch der Dunkelheit zuhause zu sein oder zu viel mit den Buben unternahmen. Schule schwänzen kam einer Todsünde gleich. Zugleich wurde versucht uns ein bisschen auszuhorchen, ob Mutter, die ja jung und fesch war, womöglich Männer in ihr Bett ließ. Ja, sie ließ einen in ihr Bett, aber wir haben sie nicht verraten. So war es für die alleinstehenden Frauen und wir Kinder bekamen mit, dass unsere Mütter weniger wert waren und wir mit ihnen. Mutter nahm jede Arbeit an, ich schwänzte nie die Schule. Aber als ich mit einem Einserzeugnis von der Volksschule ins Gymnasium wollte, war das ein aussichtsloses Ansinnen. Ins Gymnasium kamen Kinder, die Väter hatten mit einem gewissen gesellschaftlichen Status. Für ein Mädchen wie mich, Mutter unverheiratet, Fabrikarbeiterin – da grenzte so eine Idee schon wieder an Unverschämtheit. Doch das Frauenbild meiner frühen Kindheit ließ mich das nicht einfach hinnehmen, ich rebellierte, nervte die Klassenlehrerin und meine Mutter. Die alten Zwillingsschwestern im Erdgeschoss, meinten ich würde einmal eine große Rechtsanwältin werden und dazu müsse ich aufs Gymnasium. Ja, ich war ganz ihrer Meinung, aber es war eine aussichtslose Rebellion. Ich fügte mich, ich beugte mich, aber es blieb ein Stachel in mir. Ich begriff auch, dass es neben der alleinstehenden Mutter, auch die Armut war, die uns in ganz enge Grenzen zwängte. Kein Talent wurde gefördert, keine Bemühung durch Ermutigung befeuert. Hätten wir hinreichend Geld gehabt, wäre es anders gewesen. Zwar wäre über die männerlose Mutter die Nase gerümpft worden, aber so mache Hürde wäre zu überwinden gewesen. Andererseits – welche wohlhabende Frau war schon ohne Ehemann? Vielleicht einige Künstlerinnen. 
Während ich das schreibe, überrollen mich die Empfindungen von damals. Dieser Zwiespalt, einerseits eine Wut, eine Empörung, für die ich schon ein paar Worte fand, die mich zunehmend aufmüpfig sein ließen und anderseits diese Scham ein Nichts zu sein, etwas Geringeres, dieses tiefe Gefühl von Minderwertigkeit. 
Stopp jetzt – es ist zu viel in meinem Schrank. Aber noch eine Anekdote: Gar nicht lustig. Noch immer in meinem Kopf jetzt nach 60 Jahren. Ich bin nicht ganz elf Jahre alt, weil blutarm ziemlich bleich, ich bekomme meine Tage, weiß gar nicht warum da unten Blut raustropft. Gleichzeitig beginnt es an allen Körperstellen zu wuchern, die Schamhaare, ebenso die Achselhaare und auch die Brüste, die innerhalb weniger Monate von kleinen Knöpfen zu länglichen nach außenstehenden gurkenähnlichen Auswüchsen mit dunkelbraunen Kappen unübersehbar wurden. So eine Veränderung bleibt auch von anderen nicht unbemerkt. Die Fürsorgerin kommt zu Mutter und fordert sie auf, mit mir zum Amtsarzt zu kommen, um eine Schwangerschaft auszuschließen. Ich begreife nichts, gar nichts!  Irgendwie schafft es Mutter diese Untersuchung lange genug hinauszuzögern, bis sichtbar ist, dass ich statt in eine bauchige Breite in die Länge wachse. 
Das Ansinnen der Jugendfürsorge muss mich irritiert haben: Die Blutung kam fünf Monate lang nicht mehr. Mich befiel ein religiöser Wahn und ich war überzeugt, dass ich wie Maria Mutter Gottes für eine unbefleckte Empfängnis auserwählt worden war. Ich zog mich zurück, versuchte mich ernsthaft meiner Berufung zu widmen mit der ich aber haderte, weil mir das alles viel zu früh erschien. Maria war wenigstens schon fünfzehn Jahre, ich gerade elf.
 
Ich wurde erlöst: Noch rechtzeitig vor der Badesaison, war die Unterhose ordentlich rot bekleckert. Und nach einer Woche hat sich beim Badespaß die Berufung im Schwimmbecken aufgelöst.

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Ich wühle weiter  in meinem Sexismus -Schrank, wie in einer dunklen Lotterie und ziehe ein Stück Gewalt gegen Frauen heraus. Das hatte ich so tief in meinen Schrank gestopft, über fünfzig Jahre lang war es dort vergraben. Ich dachte, ich hätte immer wieder erfolgreich ausgemistet oder halbwegs Ordnung geschaffen. Und dann springt mir förmlich dieses Stück ins Gesicht, es stinkt, es ist klebrig, ich will es gar nicht anschauen – weg damit. Aber es wedelt giftdampfend vor meiner Nase, es legt sich über meinen Kopf, über die Augen und ich sehe nichts mehr, es schlingt sich um meinen Hals und ich kann nicht mehr atmen. Es will zur Kenntnis genommen werden. Nun denn:
Ich war siebzehn Jahre alt und lebte in London, Swinging London. Die Stones und die Beatles kamen gerade wie aus dem Nichts.. Ich liebte die Clubs der Zuwanderer aus der Karibik – dort hörte man bis in den Morgen Rhythm and Blues Musik, die jede Körperzelle zum Mitschwingen brachte. 
In London war bereits eine gewisse kleine Mittelschicht von aus der Karibik stammenden Familien entstanden. Diese Urenkel ehemaliger Sklaven waren nun gut ausgebildet, gaben sich weltoffen, sehr selbstsicher und die meisten waren schön anzuschauen. Wir Mädchen schäkerten und tanzten gerne mit ihnen. Einer lud vier Mädchen zu einer Nachmittagsparty ein, um seinen Geburtstag zu feiern. Die Sonne schien und von meiner Gastfamilie war es nicht weit nach Earls Court und ich kam völlig arglos zur Party. Die Stimmung war locker, lachen, plaudern und tanzen. Ich merkte nicht, dass zwei Mädchen bald die Party verließen. Es waren nun noch fünf Burschen und zwei weiße Mädchen. Das zweite Mädchen schmuste sehr heftig mit ihrem Freund. Das war mir peinlich und ich machte mich zum Gehen bereit. 
Da drückt mich einer der jungen Männer auf ein Bett. Ich bin total verblüfft und denke noch an einen groben Scherz, aber er lässt mich nicht mehr aufstehen. Die anderen Männer stehen um das Bett herum. Ich schlage um mich und flehe einen an, der mir immer so sympathisch erschienen war, mir zu helfen. Er sagt ich solle Ruhe geben, weil sein Freund sehr gefährlich werden könne. Ich kann hier nicht ins Detail gehen – kann nicht noch näher hinschauen. Ich hoffe, dass das andere Mädchen mir zu Hilfe kommt. Aber die schaut mit ihrem Freunde völlig gierig auf die Situation und masturbiert ihn. Ich habe Angst, dass ich mich übergeben werde. Ich halte mir die Arme über die Augen, der Aggressivste zieht sie immer wieder weg. Selbst meine Angst kann mein Schluchzen nicht stoppen. Er schreit mich an, die anderen lachen. Ich verkrieche mich in mein Weinen. Ich weiß nicht mehr, ob mich zwei oder drei Männer penetrieren, während ich gelähmt auf dem Bett liege. Ich weiß auch nicht wie lange das dauert, ich höre keine Stimmen, kein Stöhnen, ich rieche nichts, ich spüre meine Körper nicht mehr. Dann ist es vorbei, ich ziehe meinen Slip hastig hoch und will nur flüchten. Nun schlägt ein Mann den Hals eine Flasche ab, versperrt mir den Weg zur Eingangstüre und richtet die abgebrochene Flasche auf meinen Hals. Der, der mich anscheinend nicht berührt hat, hält ihn zurück und sagt.“She won´t tell anybody“. 
Ich haste auf die Straße, die Sonne scheint und ich begreife nur, dass ich überlebt habe, ich bin nur froh, dass ich mit meinem Leben davongekommen bin! 
 
Ich habe es niemanden erzählt, weder meiner Gastfamilie noch meiner Freundin und natürlich bin ich nicht zur Polizei gegangen. Natürlich nicht! Denn der Dreckschleudern wären auf mich gerichtet gewesen. Eine junge Frau, die zu einer Geburtstagsparty zu farbigen jungen Männern geht, die ist selbst schuld. Noch dazu im Minirock Die hätte doch wissen müssen, was da auf sie zukommt. Sie ist doch die Schlampe. Da ist doch klar, was sich die Männer da erwarten. Die ist ja nicht einmal ernsthaft verletzt. Vielleicht hat sie mitgemacht – zu viel Gras und so.
Scham und Schuld, soviel, dass ich es tief vergraben musste, bis es nach über 50 Jahren plötzlich wieder da war – hochgepoppt. Warum? Ich weiß es nicht!
Soll ich mich entschuldigen, dass ich in diesem Rahmen, wo es um strukturellen Sexismus geht, sexuelle Gewalt schildere?  Struktureller Sexismus ist für mich der Humus auf dem sexuelle Gewalt gedeihen kann. 
Übrigens, ein wenig schäme ich mich immer noch. Befürchte auch, dass man mir Rassismus unterstellen könne. Aber es kommt nicht auf die Ethnie an. So lange Frauen zu Objekten herabgewürdigt werden, ist die Türe auch für Gewalt sperrangelweit offen.