Jonna

Augenärztin, 53, Mutter

 

Dinosaurier oder Es braucht ein Vorwort

So wie die riesigen, behäbigen Urviecher, so fühle ich mich. Wie ein Brachiosaurus, den ganzen Tag Blätter wiederkäuend, langsam den Kopf drehend und mit einem Augenaufschlag maximal in Zeitlupentempo. Kein Wunder, so musste man aussterben, dermaßen unzeitgemäß gibt es kein Überleben auf Dauer und man kommt unweigerlich unter die evolutionsgepowerten Räder der Zeit. Was mich besonders schaudern lässt ist die Tatsache, dass es möglich ist, nicht einmal zu kapieren, was nötig gewesen wäre zu erkennen, um Schritt zu halten, um sich gesund weiterzuentwickeln.

So ging’s mir vor zwei Wochen, als ich die jungen Frauen der Gruppe hörte und mir dachte, ich sei auf einer Kulturreise und käme aus lang verstrichenen Tagen zu diesem Erlebnis dazu. Mit einer Unaufgeregtheit sprachen die Jungen in selbstverständlichem Ton und in ganzen Sätzen. Berichtend von noch verstaubten (ich glaube, ich musste sogar husten) Gangarten an Universitäten, in Arbeitsverhältnissen, in Beziehungen, auf der Straße. Emotion lag in ihren Worten, ja, aber da waren keine Parolen ohne Prädikat. Das waren bereits gelebte Statements! Fakten, und es klang viel mehr nach rügenden Hüterinnen einer neuen, (für mich) bereits existierenden Kultur.
‚Fragen Sie nicht, was Ihre Gruppe für Sie tun kann, fragen Sie, was Sie für die Gruppe tun können‘… Tage des Sinnierens und befriedigenden Unbehagens folgten. Was sollte ich denn dieser Gruppe beizusteuern haben, was nicht schon längst erledigt, gedacht, ausgesprochen und verjährt ist? Neues bestimmt nichts. Also spazierte ich durch die vergangenen zwei Wochen und trug diese Frage mit mir herum und schaute auf mein Leben, vor und zurück. Ich beließ diesen Stein des Werdens in meinem Schuh und ließ ihn sich durch die Strumpfschichten meines Bewusstseins wetzen. Herausgekommen ist Folgendes: Ich werde helfen, indem ich einen Lagebericht liefere. Bestimmt gibt es nicht nur mich Brachiosaurierin-Frau, die sich bis hierher ganz fit und emanzipiert und weitgehend frei von sexueller Diskrimination gefühlt hat. Ich werde den Jungen erzählen von dem unbewussten kulturellen Spalt, der älteren Denkweise, dem Stand und Staub der Dinge mancher Frauen – und damit vielleicht dazu beitragen, dass die Kommunikation zum Thema Sexismus breiter wird und mehr Frauen erreicht werden. Wenn Jung erkennen kann, wo Alt hängt, müsste die Aufholfahrt und das Zusammenführen doch leichter und produktiver werden. Vielleicht findet sich dadurch das eine oder andere vermittelnde Wort. Dann kann die Flamme weitergeben werden und es wird Licht in weiteren Sexismus-Höhlen neben meiner eigenen. Somit kann dann die „Strength in Numbers“ zunehmen. Dadurch wird die Zukunft unserer Kinder eine entwickeltere! Und meine Gegenwart natürlich auch. Denn bestimmt reicht es nicht, den Älteren klarzumachen, was nicht geht. Unseren Töchtern und Söhnen vorzuleben, darum geht es!

 

Was bisher geschah

Mit dem Spruch „Du musst schauen, dass du auf eigenen Beinen stehst“, bin ich aufgewachsen. Darin lag verpackt der Auftrag eine Ausbildung, mit der man was verdienen könne, abzuschließen, nicht schwanger zu werden, bevor ich einen sicheren Job hatte, und mich eben keinesfalls abhängig von einem Mann zu machen. Ich habe das punktgenau umgesetzt und kam mir damit schon unfassbar emanzipiert und unantastbar vor. Ich klebte in meinem Sattel, das talentierteste Cowgirl der Welt, das seinen feurigen Mustang trotz wilden Bockens ritt und ihn liebte! Ich brauchte keinen Mann, um zu leben, wie ich wollte. Wie ich wollte? Und was war denn alles so geschehen? Wo waren die Männer in Wort und Tat so gewesen? Und wo war ich währenddessen? Je länger ich nachdenke, desto mehr merke ich, dass es mit dem Erfüllen meines Auftragssatzes für mich auf weite Strecken hin getan war. Ich hatte meine Frau gestanden, der Rest waren nur noch Peanuts. Taten nicht wirklich weh, waren manchmal sogar praktisch. Natürlich ärgere ich mich narrisch, wenn ICH eine sündteure Heizung oder einen Schwedenofen installieren lasse und zahle und der Installateur oder der Rauchfangkehrer überhaupt nur mit meinem Vater (der netterweise alle immer bei mir reinlässt, wenn ich in der Arbeit bin) reden oder mit mir merklich langsamer. Weiters werden mir technische Fakten von den Herren – wahrscheinlich wegen befürchteter Überlastung meinerseits – meist nur zur Hälfte mitgeteilt. Aber ich ertappe mich allerdings auch dabei, dass ich manchmal mitspiele. Zu große Dankbarkeitsäußerungen, meine Stimme ist nicht ganz die meine. Ich bediene hier bestimmt diese Posse mit. Wie kommt das…?
Erstaunlich waren auch folgende Erlebnisse, als Someone, mein Partner, und ich neulich in der Stadt unterwegs waren. Zuerst waren wir in einem Sportgeschäft, weil Someone eine Hose brauchte. Eine junge Frau beriet ihn, ich stand daneben. Schließlich meinte sie: „Es hängt auch davon ab, welche Unterhosen Ihr Mann trägt.“ und schaute mich fragend an. Echt jetzt? Bei seinen Unterhosen falle ICH ihr ein?? Am selben Tag waren wir noch etwas essen. Wir baten um die Rechnung, der Ober kam, er fragte: „Alles zusammen?“ Und als wir beide nickten, wandte er sich mit einer rassigen Halbdrehung an Someone. Billiger für mich, aber seltsam, oder?
In meinen Ausbildungsjahren habe ich beides erlebt. Frauen, die fachlich und durch ihr Auftreten die Bühne einer Abteilung dominiert haben, und Männer, die eine Ärztin als Zeiterscheinung betrachteten, die ohnehin bald in die Haus-, Hof- und Mutterrolle verschwinden wird und danach maximal in irgendeiner Ambulanz ein paar Stündchen Kram erledigt, den eh keiner machen will. Man kam sich wie ein Glühwürmchen im Juni vor. Belächelt und belanglos fürs große Ganze.
In meiner Arbeit als Augenärztin kann ich überhaupt nicht sagen, was abgeht. Ich glaube, das liegt an meinem zum Thema noch verschleierten Blick auf mich selbst. Ich bin hier zufrieden. Ich betreue gefühlt gleich viele Männer und Frauen aus allen Generationen. Ich erfahre entgegengebrachtes Vertrauen von beiden Geschlechtern zu sehr intimen Themen und zu meiner Kompetenz als Ärztin. Dass ich Blumen statt Schnaps geschenkt bekomme, ist mir sehr recht, muss ich sagen.
Zuhause muss ich mich lustigerweise seit jeher an der Nase nehmen – und verstehe nicht, wieso das so ist! Ich habe, was Hilfe im Haushalt angeht, meinem früheren Sohn (heute Transgender-Tochter) mehr durchgehen lassen. Das habe ich nicht von meiner Mutter, denn die war da rigoros gerecht.
Was das Zusammenleben mit einem Transgender-Menschen angeht, kann ich sagen, dass es mich sehr lernen lässt. Ich war ganz automatisch gezwungen meinen Blick auf Mannsein und Frausein ziehen zu lassen. Was geblieben ist, ist, dass ich es schätze, dass es archetypische Stärken und Schwächen in beiden Geschlechtern gibt. Diese werden natürlich individuell unterschiedlich wahrgenommen und sind stets verschieden ausgeprägt. Sie verschwimmen auch oft. Ich finde sie jedenfalls schön, sie sind für mich attraktiv und voller Kraft und keine Schwächen!

 

FILMRISS

Vor ein paar Tagen ist mir mein Herz vorübergehend gebrochen. Aus Erschöpfung heraus. Das jüngere Pubertier war der Auslöser. Oder vielmehr eine weitere dramatische Verzweiflung ihrerseits, die sie bitterlich weinend am Telefon mit mir teilte. Die hatte mir in der Sekunde einen Tritt in den Magen versetzt, ich hatte Panik wie noch nie um mein Kind bekommen. Sollte ich sie suchen fahren, die Ordination schließen, die in 5 Minuten beginnen sollte? War ich hysterisch? Was war jetzt richtig? Ich war so überfordert und wieder so komplett allein. So wurde ich dann von Stunde zu Stunde kränker. Als sie einige Stunden später ziemlich fidel und ausgeglichen heimkam, war es aus mit meinem Körper – arger Schwindel und Übelkeit übernahmen das Kommando, rasende Kopfschmerzen stimmten ein in das Crescendo, ich konnte mich kaum auf den Beinen halten. Und niemand da, der übernehmen konnte, der auch betroffen war. Nein, in meinem Boot mit den zu kleinen Rudern und mittlerweile sturmdurchlöcherten Segeln treibe ich zu 95% allein im Hormonmeer und überhaupt allem, was die Kinder angeht. Zwischendurch gibt es Starauftritte der zweiten Hälfte des Elternteams mit der geteilten Obsorge. Aber da wird eben dieser Auftritt bejubelt und nicht das Leben bestritten. Denn zwingen kann man niemanden.

Jedenfalls ging was kaputt an dem Tag. In mir drinnen ist es nicht wie vorher. Meine Souveränität, die ich Jahre lang die meine nannte, hat mich verlassen. Ich kann das so nicht allein. Es ist ja auch nicht so gedacht. Weiters ist es auch bei geteilter Obsorge nicht gedacht, dass die zweite Hälfte sich samt neuer Familie alle paar Jahre für ein paar Monate ins Ausland begibt. Und mir das mitteilt vorher, mich nicht fragt. Beim ersten Mal, im Gespräch mit meinem Anwalt, einem guten Freund, erfahre ich, dass wir natürlich einschreiten können, aber bis wir durch sind damit, sind meine Kinder aus dem Haus… und hier bin ich beim Punkt angelangt: dieses am Schluss einer Krise immer Drüberstehen. Dieses Verbindlichbleiben, um’s nicht noch schlimmer zu machen. Dieses Lächeln, wo ich unsagbar verletzt bin vom Ignorieren der bestehenden Mitverantwortung und dem fehlenden Bedürfnis, mit den Kindern Zeit zu verbringen. Dieses Alleingelassen werden. Die Situationen, wo ich mir gewünscht hätte, ER hätte sich für die Kinder als Vater eingesetzt, wo ich erklärt bekommen habe: In Gesprächen mit einigen Leuten hätte man ihm bestätigt, es wäre wertvoller, das Kind regelt das Problem selbst (hier ging‘s um das Boderline/Transgender/Dyskalkulie-Kind). Ich kann den Schein nicht mehr aufrechterhalten. Ich muss was ändern. Mir zuliebe, sonst gehen wir baden. Ich werde meine Grenzen nicht mehr überschreiten. Ich lächle nicht mehr beim subtilen Verletztwerden, auch wenn die Kinder dabei sind. Ich stelle mich neu auf. Dafür brauche ich zwar zuerst meine Coaching-Psychologin, aber so wird es sein. Ab sofort geht’s um mich. Denn ich bin auf Grund gelaufen.
Vielleicht bin ich im Erkennen von Sexismen so stumpf, weil ich so oft in Bedrängnis war und im Job und als Mutter der Alpha-Wolf sein musste, um nicht mit den Kindern unter die Räder zu kommen. Besagte Souveränität war vielleicht nie die meine, sondern eine schützende Vorstellung, damit die letzten 14 Jahre halbwegs funktioniert haben. An vielen Stellen fehlte mir bestimmt die Kraft, um auch noch auf Korrektheit und Respekt für mich als Mutter zu bestehen. Es reichte grade zum Durchtauchen durch die anrollende Welle des Problems, um danach wieder nach Luft zu schnappen. Und ich sag’s ehrlich: Ich habe auch keinen noch so kleinen Funken Energie, um das rückwirkend auszudiskutieren, was mir in der ganzen letzten Dekade, damals mit noch mehr vorhandenem Elan, nicht geglückt ist. Ich sage es, wie es ist: Ich werde so froh sein, wenn ich meine beiden Kinder stabil durch die Pubertät gebracht habe, und wenn das jetzige Mühsal endlich vorbei ist.
Wenn ich so überlege, verstehe ich meinen Körper, der, ohne mit mir vorher zu konferieren, den Schlussstrich gezogen hat. Gefühlt gibt es an ihm keinen einzigen Flecken, der in der Vergangenheit nicht als tröstende Stütze, als sicheres Fort gedient hatte. Ich habe diese Stütze gestanden, egal, wie ich selbst grad drauf war. Ich habe vorn und hinten geschleppt, und ich habe auf der Seite getragen, und überall gehalten, wo man sich anlehnte, auf mich legte. Dieser Körper darf nicht mehr wollen. Neben dem Balancieren unser aller Leben und unser aller Entwicklungen im Alleingang war ich auch Karrierewesen. Ich habe, damit das geht im Alleinerziehertum, die Zeit, in der ich nicht Mama war, mit Vorkochen – damit die beiden ein Essen bekamen, das meinen Ansprüchen gerecht wurde, hatten – und Haushalt verbracht. Und Lächeln und von vorne.
Hätte ich ja nicht müssen, das mit der Karriere. Wie bitte…? Ich wollte. Wieso ich wollte, weiß ich zwar nicht, aber es war so. Also hab ich’s durchgezogen. Es gab Hilfe. Von traditioneller Seite, den Freunden und vielen bezahlten Unterstützern, dafür bin ich sehr dankbar. Nur von der offensichtlichen Stelle der zweiten Hälfte kaum. Dafür im Stichlassen der Kinder und mir am laufenden Band.
Ich hätte diese private Geschichte nie erzählt, wenn sie nicht so eine gewöhnliche wäre. Eine die quasi normal ist, endlose Male passiert und passiert ist, und schon wieder vorbeigezogen ist. So wie meine bald vorbei sein wird, wenn die Kinder groß sind.
Macht es anders, junge Frauen. Falls es nötig wird, macht Verträge, die Schraubstöcke sind. Sollen die strapaziert werden und nicht eure Körper und Seelen. Es stimmt leider, man kann zu Emotionen keinen zwingen, aber als Mutter auszubrennen kann nicht die Alternative sein.

 

Aufgeriebenes zum Schluss

Was hat’s mit diesem Frauentag? Ich habe heuer erstmalig eine Wut bei jeder Meldung im Radio, wie toll wir Frauen doch sind und wie weit wir es schon gebracht haben. Geht’s noch???

Allein dass, oder besser wie!, man diesen Tag begeht, kommt mir in manchen Berichten genauso Augen auswischend vor wie beim noch viel mehr zu diskutierenden Muttertag. Dieses 1x im Jahr bedacht werden, Blumen zu bekommen und vielleicht ein neues Küchenutensil, damit man den vermeintlich natürlichen Stärken und Begabungen weiterhin nachgehen kann.
Eine Dame hat mir gratuliert: Mehr als ein geladenes „Hm.“ brachte ich nicht über die Lippen.
Ich bin grantig. Ich habe das Gefühl, es passiert zu wenig. Und wird es sich jemals ganz erledigen lassen? Werden die Ungerechtigkeiten, die Unterschiede in den Bezahlungen, die Gewalttaten, die Missbräuche, und, und, und… werden sie jemals weg sein? Oder bedingen, selbst wenn wir eines Tages alles durchgesetzt (wir müssen tatsächlich es durchsetzen, denn als natürlich wird es nicht empfunden) haben, unsere zwei Geschlechter irgendwie einfach, dass es im Ungeregelten, im Unbeobachteten immer gleich weiterlaufen wird?
Kann nicht ganz stimmen, denn es gibt Kulturen, in denen diese Muster nicht vorhanden sind. Doch weltweit über viele Nationen hin schon.
Wir hören natürlich NICHT auf uns zu emanzipieren, das schlage ich hier nicht vor. Aber ganz erschließt sich mir der Funke des allertiefsten Grundes der Ursache nicht. Diese eine Zutat, die diese Persistenz ermöglicht…
Wenn wir unsere Ungleichheit als Kapital sehen könnten und auf der gleichen Ebene losgehen und sich jeder Mensch, egal in welchen Körper er geboren wurde, seinen Möglichkeiten und Stärken entsprechend entwickeln könnte, dann haben wir‘s. Dieser Traum erstreckt sich über das Thema Sexismus weit hinaus. Er ist es wert geträumt zu werden, mit offenen Augen, dem Herz auf der Zunge und Mut in der Seele.