Milian
Bühnen- und Kostümbildner, 48
Kostümbild ist Frauensache!
Ich liebe die Oberfläche.
Mit der Hand über hochwertigen Samt streichen. Die Qualität von feinem Wolltuch fühlen. Einen bestickten Effektstoff in der Hand wiegen. Den nervösen Fall von Crêpe Georgette begutachten. Das Farbenspiel von Chiffon changeant genießen. Das Motiv einer raffinierten Seidenspitze studieren.
Ich kann mich für zierliche Riemchensandaletten begeistern und für den Schwung des Absatzes eines Schuhs.
Ich liebe Lacklederschuhe, Nagellack und Lipgloss.
Ich verweile überall, wo etwas glitzert und funkelt.
Ich bin das Klischee des schwulen Kostümbildners!
Studentenjob als Parkplatzwächter. Mittagspause. Eine Handvoll Studenten. Darunter ein höchst attraktiver Jura-Student: „Und – was studierst du so?“ „Bühnenbild.“ „Dann bist du sicher schwul, denn das sind ja alle Künstler!“ „Dann bis du ein arrogantes Arschloch, denn das sind ja alle Juristen!“
Den letzten Satz habe ich nie gesagt. Viel zu spät hat mein Hirn die Worte zusammengeklaubt – dafür seitdem über ein Vierteljahrhundert immer wieder gedacht. Damals: in Sprachlosigkeit kleben geblieben – mit ungedeckter Flanke, weil ich den Typen doch so scharf fand und ein mutiges Outing sein bescheuertes Klischee einzementiert hätte.
Wenig später lenkten mehrere Kostümassistenzen mein bereits bestehendes privates Interesse an Kleidung auch auf den beruflichen Bereich – begleitet von der Wahrnehmung, dass der Beruf der Kostümgestaltung vorwiegend von Frauen ausgeübt wird (übrigens offensichtlich aus diesem Grund auch geringer honoriert wird als die Bühnengestaltung, die Ende der 1990er Jahre von Männern dominiert wurde) und dass die männlichen Kostümbildner in den meisten Fällen schwul sind.
Aus all dem folgte die Erkenntnis, dass ich also nicht nur ein Schwuler bin, sondern auch unausweichlich ein Klischeeschwuler! Schwule sind ja meistens kreativ tätig. Und wenn es um die lust- und hingebungsvolle Inszenierung des Körpers geht, ist man sozusagen schwul im Superlativ! Ich wollte und will aber nicht das Klischeebild des schwulen Mannes bestätigen.
Ich war von Kindesbeinen an „kreativ“ – mit Papier, Stiften, Farben, Pinseln, Schere, Klebstoff, Holzstücken, Materialresten, Werkzeug und was auch immer mir in die Quere kam war ich stets bestens aufgeräumt. Dann kam irgendwann das Hormonprogramm – ich fand’s geil, Männer geil zu finden, brachte diese Tatsache aber erst mal nicht in einen kausalen Zusammenhang mit meiner Begeisterung fürs Malen und Basteln!
Und dann doch: Aus diesen zwei Wesensmerkmalen – aus einer Summe von unzähligen, die mich ausmachen – erwuchs mir für viele Jahre ein innerer Konflikt: Wie gehe ich mit der Bedrohung um, dass ich in der Wahrnehmung der mich umgebenden Gesellschaft anhand weniger Stichworte lebenslang in eine Schublade der abwertenden Kategorie verbannt werde, aus der es kein Entkommen gibt. Leugnen? Vor mir selbst? Wo stünde ich heute, hätte ich mich einen Dreck darum geschert, ob und in welche Schublade ich gesteckt werde?!
Ich bin mir nicht sicher, ob sich dieser Konflikt für mich inzwischen wirklich erledigt hat, oder ob er nur einfach nicht mehr präsent ist. Mein künstlerisches Berufsleben übe ich nach den Möglichkeiten aus, die sich bieten – und die gesellschaftlichen Rollenbilder wandeln sich: Das Wort „Genderfluidität“ wurde erfunden und von meinen ländlichen Verwandten mit lackierten Zehennägeln ertappt zu werden, würde mir vielleicht nur noch eine klitzekleine Hitzewallung bescheren. Aber würde ich heutzutage meinen nachgeschneiderten Jean-Paul-Gautier-Hosenrock selbstverständlicher spazieren tragen? Werde ich mich jemals mit einem knielangen, hinreißend voluminös schwingenden Rock kleiden, anstatt ihn nur als Kostüm für jemand anderen zu entwerfen? Die Liste der Fragen, die mir an dieser Stelle assoziativ durch den Kopf purzeln, ließe sich vermutlich endlos fortsetzen. Ich begnüge mich damit, zum Ende dieses Textes den Titel als Frage an das lesende Publikum zu formulieren: Ist Kostümbild Frauensache?
Blickfänger
Seit neuestem: Lackierte Fingernägel.
An Männerhänden!
Immer wieder!!
In Graz!!!
Vor kurzem erst beim Bezahlen an der Kasse an einem jungen Mann entdeckt – abwechselnd anthrazitgrau und weiß – beim Entgegennehmen des Wechselgeldes in Nahaufnahme betrachtet, vielmehr: bewundert.
Mein Hirn checkt schneller als es denken kann und stellt zufrieden fest, dass der Kerl „ansonsten nicht schwul wirkt“.
Ha!
Ertappt!
Wie lange wird es dauern, bis in meinem Kopf anlässlich solcher Momente nicht mehr die Worte männlich – weiblich – weibisch – effeminiert – tuntig aufgeregt warnblinklichten?
Gleichzeitig verlängern meine Gedanken diese Momentaufnahme und imaginieren diesen Mann, wie er sich versonnen die Nägel lackiert.
Liebevoll und verspielt seinem äußeren Erscheinungsbild zugewandt.
Ganz unbekümmert von der Tatsache, dass die vorherrschenden Rollenbilder so etwas bislang nur Frauen zugestehen.
Und ich träume weiter – von Zeiten, in denen Worte wie geziert/ geschmückt / geschminkt nicht mehr mit dem Begriff feminin gleichgesetzt werden.
Ansatz zu einer Kampfschrift
Das offensichtlich allgemeine Bedürfnis, unterschiedlichste Eigenschaften mit männlich oder weiblich gleichzusetzen nervt mich gewaltig, weil es Wahrnehmung behindert und Denken einschränkt.
Ganz abgesehen von den praktischen, oft leidvollen Konsequenzen ist allein schon dieser ungenaue Umgang mit Sprache ein Ärgernis!
Eigenartig, dass wir über einen sprachlichen Reichtum verfügen, der im Denken wenig Niederschlag findet.
Feststellungen wie zum Beispiel „Diese Frau ist burschikos“ oder „Dieser Mann ist effeminiert“ sind doch alles andere als unmissverständlich – stattdessen hinterlassen sie eigentlich zahlreiche Fragen: Ist das Verhalten der Frau forsch?
Draufgängerisch?
Dominant?
Redet sie laut?
Muss man sich den Mann mit einer hohen Stimmlage vorstellen?
Pflegt er eine singende Sprechweise?
Steht er vorzugsweise im Kontrapost, oder steht sie breitbeinig?
Bewegt sie sich lässig, oder bewegt er sich schwungvoll?
Hat er eine zierliche Statur?
Schmale Schultern?
Weiche Körperformen?
Ein rundes Gesicht?
Lange Wimpern?
Ist sie groß?
Hat sie ein breites Kreuz?
Ist sie muskulös?
Sehnig?
Knochig?
Hat er eine Vorliebe für zarte, glänzende und weich fallende Stoffe?
Bevorzugt sie robuste Kleidung?
Verzichtet sie konsequent auf Schnörkel, Glitzer, Rosa und Gesichtsbemalung?
Verwendet er Makeup?
Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen!
Worauf ich hinaus will, ist, dass die korrekte Anwendung von Eigenschaftswörtern eine differenzierte Wahrnehmung erfordert, die wiederum vorschnelle Urteile unterbindet:
Selbstvergewissernde Achtung, wenn jemand Rollenvorgaben mustergültig erfüllt.
Selbstgefällige Verachtung, wenn sich jemand leichtfertiger Einordnung verweigert.
Ich bin überzeugt, dass jeder Mensch wahrgenommen und nicht kategorisiert werden möchte.
Die geschlechtsspezifische Zuordnung von Eigenschaften und Verhaltensweisen ist nicht tragfähig und somit nicht tragbar!
Es entbehrt jeder Nachvollziehbarkeit, warum alles vordergründig nutzlos Verspielte den Frauen zugestanden – beziehungsweise aufgezwungen – und im Gegenzug den Männern alles vermeintlich Praktische und Handfeste aufgedrängt wird.
Es ist so trist, dass Männer in unserem sowieso erschreckend farblosen Kulturkreis ihr Leben vorwiegend in Tarnfarben fristen.
Und es ist lächerlich, dass Frauen das Bedürfnis unterstellt wird, permanent an irgendeiner Stelle glitzern zu müssen.
Ich wünsche mir, dass wir uns aus dem alles durchdringenden Denken in geschlechtsspezifischen Stereotypen befreien! Das ist ganz sicher nicht einfach, aber es wird eine unermessliche Bereicherung für alle sein!