Sanna
Studentin, 19
Zwischen den Zeilen
Rosarote Plüschpuffeln an den Füßen, immer wohlgepflegtes Auftreten. Nicht zu laut, nicht zu leise, schön lächelnd, schöne Zähne. Intelligent – aber nicht gescheit. Meinungslos. Auf Führung einer starken, maskulinen Hand angewiesen, auf Proaktivität des Mannes abwartend. Augenzwinkernd, unzugänglich, verschlossen und geheimnisvoll, eine perfekte, makellose und aufwendig aufgemalte Fassade mit wenig Charakter dahinter. Initiativlos, von außen geleitet, nur in ihrer körperlichen Schönheit geachtet.
So, nun ist der Grundstein gelegt. Auf dem kann ich jetzt aufbauen.
Als Kind zog ich mir unglaublich viele Coming of Age, aschenbrödelartige Makeover Movies rein, wo es hauptsächlich darum ging, ein Mädchen aus ihrem nichtigen Dasein als abhängiges, unfreies und vor allem unschönes Individuum zu befreien und in einen kommerziell aufgetakelten Plüschpudel zu verwandeln, dem auf einmal alle heteronormativen Cis-Burschen hinterhergaffen und um ihr damit das höchste aller Gefühle zu vermitteln: die Begierde. Aber als Mini-Me war ich eher an dem Glitzern und den rosaroten Ballkleidern interessiert und nicht unbedingt an den gesellschaftlichen Auswirkungen einer so einseitig präsentierten Darstellung der Geschlechterrolle einer Frauenprotagonistin. Das kam erst später. Aber diese Filme, deren Inszenierung des Frauseins und wiederum deren Bedeutung für mich haben sich innerhalb meiner Lebensstadien stark verändert.
Siehe wie folgt:
Nun wuchs ich also mit diesen Bildern im Kopf auf: Julia Roberts in Pretty Woman, Anne Hathaway in Plötzlich Prinzessin, Reese Witherspoon in Natürlich Blond oder Sandra Bullock in Miss Undercover. Je Glitzer desto Glamour. Und ich liebte es. Ich liebte es mich zu kostümieren, mein Kinderzimmer in einen Prinzessin Lillifee-Schrein zu verwandeln, jegliches meiner neuen Besitztümer in einer Rosaschattierung zu ergattern und ausschließlich Einhörner in meinen Stofftierreihen Stellung beziehen zu lassen. Bei Glitzer war ich daher ganz vorne mit dabei. Beim Glamour fehlte es mir allerdings an den erforderten Charaktereigenschaften. Auf Anmut legte ich nicht recht viel Wert. Ich spielte lieber draußen im Gatsch als mit langweiligen Barbiepuppen. Ich hatte ein loses Mundwerk, liebte es, mich mit meinem großen Bruder in periodischen Wrestling Duellen zu messen und hatte einen gewissen Drang zu exzentrischer Theatralik. Und das liebte ich ebenso. Und ich verstand einfach nicht, wenn andere Kinder meinten, bei mir passe etwas überhaupt nicht zusammen. So eine Tussi (eine Bezeichnung, die mich tief in meinem Stolz verletzte) und gleichzeitig so ein wildes Springginkerl, „ja, entscheide dich doch einmal!“. Auch manche Mütter konnten mit mir nichts anfangen. Es wäre eine Entweder-Oder-Frage. Und ich lag da so unangenehm zwischen den Zeilen.
Während der Pubertät änderte sich mein Blick auf die vorhin aufgereihte Filmographie. Ich entschied mich für das Oder und sah in der klassischen Frauenrolle und all ihren Attributen nur mehr Satans Machenschaften zur Einkerkerung des weiblichen Geschlechts. Nun stellten diese Filme nicht mehr Glitzer und Glamour dar, sondern den Versuch unserer Gesellschaft Frauen in Kleider zu zwängen, welche sie überhaupt nicht tragen wollten. Und genauso erging es mir. Ich wollte keinesfalls eine normative Rolle einnehmen und distanzierte mich dadurch von meinen eigenen Vorlieben und Eigenschaften, welche mich damit vielleicht irgendwie in Verbindung bringen könnten. Ich unterdrückte Facetten von mir aus Angst vor und Groll über systemische Unterdrückung und Einheitsdenken. Ein neugeborenes Emanzendasein, bei dem ich es mir auferlegte, weder Schwäche noch Zweifel zeigen zu dürfen. Bei Rosa sah ich nun Rot, Kinder wollte ich aus Prinzip nicht mehr, Grazie rutschte mir jetzt erst recht den Buckel runter, das Rasieren war ein Zeichen der Unterlegenheit und der High Heel wurde die Allegorie des herrschenden Patriachats. Meine Mutter, die, so lange ich denken kann, sehr darauf geachtet hatte, nicht dem Normenbild zu entsprechen, unterstützte mich in diesen Ansichten. Hauptsache, ich war nicht so wie die. Hauptsache, ich konnte mich in meiner vermeintlichen Gedankenfreiheit in Sicherheit wiegen vor dem Ungetüm der bürgerlichen Hausfrau.
Und wo stehe ich jetzt? Jetzt sehe ich diese Filme als mehr oder minder gelungene Hollywoodproduktionen mit flachem Humor. Scheiße, ich steh halt nun mal auf Rosa. Und ich liebe Zärtlichkeit. Manchmal wünsche ich es mir ein bisschen geleitet zu werden und manchmal will ich mich auch richtig herausputzen, nur um einem Mann zu gefallen. Und daran ist nichts antifeministisch. Das heißt nicht, dass ich einfältig wäre, von schwachem Charakter, falsch sozialisiert oder gar normkonform. Und wenn schon. Wenn sich meine Mutter nicht traut ein rosarotes Sofa zu kaufen, weil sie zu große Angst davor hat, als altmodisch bezeichnet werden zu können, dann ist das beim besten Willen nicht der Feminismus, den ich anstrebe zu leben. Wenn frau in den woken Hipsterclups von Wien wegen rasierten Achseln blöd angemacht wird, dann sind wir erst recht wieder drauf und dran ein Idealbild zu kreieren, welches ich niemals erfüllen kann. Ich für meinen Teil habe es satt mir überhaupt die Entweder-Oder-Frage stellen zu müssen. Ich bin ein Mensch. Ein Mensch mit vielen Facetten. Klimaaktivist*innen dürfen auch mal Avocados essen, Metalrocker*innen dürfen auch auf RuPauls Drag Race stehen und ich darf auch einmal schwach sein und Hilfe annehmen.
Ich stehe jetzt wieder zwischen den Zeilen. Dort, wo ich mich am wohlsten fühle.
Durch seine Augen
Ich war 13 Jahre alt. Es war in der großen Pause nach der dritten Schulstunde. Ein Klassenkollege kam auf mich zu, ein Junge, den ich wirklich gern hatte, bei wessen Anblick mein kleines Mädchenherz höherschlug und mein Gesicht gerne eine tiefrote Farbe annahm. Er sprach mich auf meine großen Brüste und meinen geilen Hintern an. Eine Gruppe von Schülern, aber auch Schülerinnen lauschte mit und stimmte ihm abschließend lauthals zu. Ich bedankte mich für das Kompliment und lächelte ihn an. Zuckersüß und aufrichtig, weil ich ja wusste, für ein Kompliment bedanke man sich. Und gleichzeitig hatte ich mich bis dahin noch nie so unwohl und klein gefühlt.
Dieser Junge sah mich mit einem Blick an, den ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu deuten vermochte. Ein Blick, der mir aber noch oft begegnen würde. Später an dem Tag sah ich daheim in den Spiegel und erblickte ein Bild, welches ich noch nie zuvor gesehen hatte. Abscheu. Dieses Bild zeigte nicht mehr mich, sondern eine Figur, ein plastisches Wesen durch die Augen eines anderen. Eines Jungen, der mich als meine großen Brüste und meinen geilen Hintern sah.
Seine Komplimente häuften sich in den darauffolgenden Wochen, stets auf meine sexuelle Ausstrahlung, Pornofähigkeit, ja auf meine herausragende Fuckability ausgelegt. Und ich bedankte mich, immer und immer wieder mit einem Lächeln auf den Lippen. Mein Puls schnellte immer und immer höher, sobald er das Klassenzimmer betrat. Und im Spiegel sah ich tagtäglich immer und immer mehr große Brüste und geilen Hintern. Ein befremdliches Bild des eigenen Körpers. Und irgendwann brauchte ich nicht mehr in den Spiegel zu blicken.
Ich sah mich nur mehr durch seine Augen.
Ich war 14 Jahre alt. Es war der Abend, an dem mich meine Freundinnen das erste Mal in eine Bar mitnahmen. Später in der Nacht bestritt ich dort (strategisch unklug gewählt) allein den Weg zur Toilette, die sich im Keller befand. Ein etwa 30-jähriger Mann empfing mich vor der Tür. Doppelt so breit wie ich, zwei Köpfe größer. Er warf mir diesen lüsternen Blick zu, den ich nun schon allzu gut kannte. Angst. Er baggerte mich an, wies mich auf meinen geilen Körper hin und fragte schon im nächsten Moment, ob ich mit ihm schlafen wolle. Ich lehnte dankend ab und lächelte ihn an. Zuckersüß und aufrichtig, weil ich ihn nicht verletzten wollte. Wütend zog er ab. Ich konnte wieder Luft holen. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich die ganze Zeit lang meinen Atem angehalten hatte. Im Spiegel der Toilette sah ich mich einem Objekt, einem plastischen Wesen mit geilem Körper gegenüber.
Ich sah mich durch seine Augen.
Ich war 15 Jahre alt. Bei einer Feier meines damaligen Freundes landete die erste unabsichtliche Hand auf meinem Arsch. Die erste von vielen weiteren. Wir hatten an diesem Abend viel Spaß und ich hatte mich in seinem Freundeskreis gut aufgehoben gefühlt. Ja, fast schon richtig wohlig. Später des nachts zogen wir von Club zu Club. Im Revo, untermahlt von den majestätischen Klängen von Katrina and the Wave und umgeben von der gesamten Burschengang spürte ich dann eine Hand in meinen Hintern graben. Sie gehörte einem Spezi des besagten Freundes. Er grinste mich an und bat mich um Verzeihung, aber bei so einem geilen Hintern könne mann ja nicht anders. Enttäuschung. Ich drehte mich zu meinem Freund um, der uns beide anlächelte, den Blick auf die Hand gerichtet. Sie knetete und knetete. Alleingelassen. Ich schob die Hand sorgsam beiseite und bat diesen Jungen, so etwas bitte zu unterlassen. Und ich habe ihn angelächelt. Zuckersüß und aufrichtig, er war ja ein guter Typ. Später des Abends machte ich mir Vorwürfe. Schließlich könne mann ja bei so einem geilen Hintern nicht anders.
Ich sah mich durch seine Augen.
Ich war 16 Jahre alt. Zum ersten Mal bedrängte mich ein Mann in einem Club. Stark alkoholisiert drückte er seinen Schwanz gegen mein Bein, ohne dass ich überhaupt seinen Namen kannte. Überforderung. Ich wollte weggehen. Er küsste mich und zerzauste meine Haare, sie wären so sexy. So geil. Ich scherzte mit ihm und konnte ihn so irgendwie abwimmeln. Dabei habe ich ihn angelächelt. Verdammt, zuckersüß und aufrichtig.
Mit 17 konnte ich den Nächsten nicht mehr abwimmeln. Er stellte sich mir in den Weg, war riesig und betrunken und wollte nach meinen sau-nicen Brüsten greifen. Und er ließ sich nicht mehr weglächeln. Ich schlug ihm auf die Nase. Nicht zuckersüß, aber aufrichtig.
Später sagte mensch mir, das wäre zu überzogen gewesen. Ich hätte mich anders verhalten sollen, netter sein. So benehme frau sich nicht, Gewalt wäre nie die Lösung.
Sie sahen mich genauso durch seine Augen. Und ich kann es ihnen nicht verdenken.
Ich tat es ja auch.