Elisabeths Geschichte

 

Ohne Alternative

In meiner alternativen Wohnung ist es hell und sauber. Fast alles ist weiß, zwischen matt glänzenden Oberflächen gibt es nur ein paar hellgrau Akzente, ein großes, weißes Sofa mit weichen Kissen. Nur in der Küche steht eine Kaffeetasse herum. Ich lächle, als ich sie sehe, diese kleine Unordnung macht gar nichts aus, in meiner alternativen Wohnung habe ich nämlich genug Zeit, um die Tasse später wegzuräumen. Zuerst atme ich mal tief durch. Ich spüre, dass ich völlig entspannt bin, da ich die letzte Stunde gemütlich auf meiner Yoga-Matte verbracht habe. Langsam setzte ich mich auf mein Sofa. „Maaaama!“ brüllt mein Großer und holt mich in die alternativlose Wohnung zurück, „Sie kommt die ganze Zeit in mein Zimmer und nimmt meine Sachen, ich kann mich nicht konzentrieren!“ „Ja, wem sagst du das“, denke ich mir und stehe auf. Geschickt hüpfe ich über die zur Burg gestapelten Sofa-Kissen und falle dann trotzdem fast über die Duplo-Steine. Die Kleine thront auf seinem Bett und will auch Aufgabe machen. „Komm“, will ich sie wieder ins Wohnzimmer locken, „gehen wir Duplo spielen.“ Will sie aber nicht, ihr ist langweilig und ein Streit mit dem Bruder ist derzeit eine willkommene Abwechslung oder einfach eine gute Möglichkeit, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Seit mehreren Wochen hängen wir nun schon aufeinander, ich und die Kinder. Mein Mann ist Schlüsselarbeitskraft und geht, bevor die Schicht zuhause beginnt und kommt erst wieder, wenn die gröbsten Streitereien wieder beendet sind. Mein Job sind mein Job, die Kinder, der Haushalt und die Entlastung der Schlüsselarbeitskraft. In den sozialen Netzwerken wird eine Tabelle geteilt, die einen idealtypischen Tagesablauf abbildet. Aufstehen, Frühstücken, Lernzeit, ein Spaziergang an der frischen Luft und dann wieder Lernzeit. Bei uns klappt das nicht. Vielleicht liegt es an der Kombination von Kleinkind und Teenager, vielleicht daran, dass auch ich arbeiten muss oder vielleicht lassen sich die Kinder nicht gerne von mir einteilen. Spätestens dann, wenn die Lernzeit beginnt, kommt es zum ersten Streit. Der Große mag nicht lernen, die Kleine mag kein Puzzle bauen, während ich arbeite. So endet das häufig mit einem allgemeinen Medienkonsum, der Große liegt im Zimmer mit seinem Handy, die Kleine im Wohnzimmer vor dem Fernseher und ich sitze vor dem Computer während ich vor meinen Kollegen notdürftig versuche darzustellen, dass ich arbeite. Und mittendrin die Angst: Angst, dass ich meinen Job verliere, weil ich zu wenig arbeite. Angst, dass mein beruflicher Minimalismus auffällt, ich mehr arbeiten muss und gar nicht mehr für die Kinder da sein kann. Angst, dass wir krank werden oder sterben. Oder unsere Familien. Angst, dass wir versehentlich die Regeln übertreten und dafür belangt werden, denn wissentlich würden wir es ohnehin nicht wagen – wir haben zu viel Angst. Ich brauche unbedingt eine Pause, ziehe mir Schuhe und Jacke an und will nur fünf Minuten einfach gehen, ohne Lärm, ohne Aufräumen, ohne Streit. Die Kinder sollen miteinander spielen, dem Großen zur Sicherheit ein finanzielles Zuckerl für`s Aufpassen auf die Kleine versprochen. Trotzdem bleibt die Sorge, was ist, wenn was passiert? Wenn ich jetzt einen Unfall habe? Wer passt dann auf die Kinder auf? Nach 15 Minuten bin ich wieder zuhause. „Ich bin ganz schön fertig“, sage ich zum Großen, „du musst selbstständiger arbeiten und weniger am Handy sein!“ „Hab ich gemerkt“, meint der zerknirscht, „10 € waren ganz schön viel für eine Viertelstunde aufpassen.“

Es ist also eng in den eigenen vier Wänden, die immer näher rücken und uns zu zerdrücken drohen. Hinaus dürfen wir nicht. Inmitten von aufgestapelten Sofakissen, voll behängten Wäscheständern und dreckigem Geschirr bleibt nur die Flucht in meine alternative Wohnung, in ihre Stille, die statische Geborgenheit. Ich atme tief ein und aus und lasse mich auf mein weißes Sofa fallen. Die Sofakissen liegen nun nicht mehr Kante an Kante, aber darüber lächle ich nur, denn in meiner alternativen Wohnung habe ich später noch genügend Zeit, sie wieder gerade zu richten.

 

Das Etwas

Als ich das Haus zum Laufen verlassen will, löst sich etwas aus der Dunkelheit und stellt sich mir in den Weg. „Jetzt, während dem Lockdown gehst du laufen?“, fragt es mit hochgezogenen Brauen. „Der Kogler hat gesagt, dass man darf – man soll sogar“, antworte ich schnell und dränge mich vorbei, Richtung Haustor. „Aber sicher nicht, während man die Kinder in der Krippe untergebracht hat, die ist definitiv nur für Mütter mit Bedarf“, höre ich das Etwas noch rufen, bevor das Haustor ins Schloss fällt. Draußen ist es kalt und sonnig, ich beginne zu laufen. Doch das Etwas werde ich nicht los. Es läuft knapp hinter mehr her. „Da“, zeigt es auf eine Mutter, die ihr schreiendes Kind im Kinderwagen beruhigt, während ihr das zweite mit dem Laufrad davonfährt, „so sollte das ausschauen. Diese Mutter handelt verantwortungsbewusst, leistet ihren Beitrag zum Pandemie-Geschehen und betreut ihre Kinder selbst.“ „Ich arbeite“, entgegne ich, „ ich habe Bedarf! Und diese Stunde, die ich jetzt laufe, arbeite ich am Abend ein, das ist ja dann meine Sache!“ „Man könnte ja gleich am Abend arbeiten,“ sagt das Etwas streng, „andere Mütter schaffen das.“

Sollen sie doch, denke ich, selbst schuld. Ich laufe schneller, versuche das Etwas zu vergessen, ihm davonzulaufen. Ich bin mir sicher, kein Vater hätte Angst, während dem Joggen gesehen zu werden. Die Regeln gelten nicht für beide Geschlechter gleichermaßen. Doch diesmal mache ich diese Ungleichheit und Ungerechtigkeit vom März nicht mehr mit. Es war schrecklich, tut weder mir noch den Kindern gut. Außerdem bin ich nicht „jede Mutter“ – und wer weiß, wie es den anderen wirklich gegangen ist. Lauter geduldige, liebevolle Mütter, die weder Kosten noch Mühen scheuen und ihre Kinder ganztägig zu pädagogisch wertvollen Indooraktivitäten anleiten und die Zeit mit ihren Engelchen natürlich total genießen. Wie schön diese Zeit doch gewesen sei, seufzen sie ganz glückselig im Chor, endlich habe man wieder Zeit füreinander gehabt.

„Und du“, fragt das Etwas, „ warum warst du denn so unzufrieden? Kannst du es denn gar nicht positiv sehen?“ „Nein“, schreie ich, „es war nicht schön! Es war eine Zumutung den ganzen Tag zuhause zu verbringen, neben der Arbeit noch Homeschooling und Kinderbetreuung zu erledigen und zu warten bis die Schlüsselarbeitskraft, mit der man verheiratet ist, müde nach Hause kommt und man wenigstens mal in Ruhe ins Bad gehen konnte. Ich hatte Angst, dass ich mich auflöse, weil ich keinen Gedanken mehr zu Ende bringen konnte, weil meine Gedanken nicht weiter reichten als bis zur nächsten Mahlzeit, dass ich kein Mensch mehr war, weil ich nicht mehr war als ihre Mutter! Ich brauche Zeit für mich alleine, in der niemand ununterbrochen nach mir ruft, niemand etwas von mir braucht, wo ich ich sein kann!“ „Das hättest du dir mal schön früher überlegen können,“ lacht das Etwas überlegen, „das war doch klar, dass das Leben als Mutter so ausschauen wird!“

Ich höre dem Etwas nicht mehr zu. Ich weiß, dass das nur gesellschaftliche Rollenerwartungen sind, die mich nicht interessieren, weil ich nicht daran glauben will. Dass es so wie im März nie wieder sein wird. Aber trotzdem frage ich mich, warum ich bei der Bedarfserhebung für die Krippe nicht einfach gesagt habe, dass ich eben ungestörte Zeit für meine Arbeit und meine Prioritäten brauche. Und dass das eben nicht nur meine Kinder sind. Und ich frage mich, warum das Etwas noch immer hinter mir herläuft.

An Corona mag ich nichts

An Corona mag ich nichts. Nicht die Krankheit, nicht die Masken, nicht die Angst. Schnell, schnell, nicht mal im Supermarkt wird getrödelt, nur nicht anstecken.

Aber das Gemütliche, das Kuschelige mag ich sehr. Ohne Termine die Zeit vergehen zu lassen, ohne Alternative ins Grüne fahren, das ist schön.

Als ich wieder mal völlig gehetzt vor dem Fahren mit lackierten Fingernägeln ganz spitz den Autoschlüssel nehme, damit die Nägel unbeschadet im Auto trocknen können, weiß ich, dass die Infektionszahlen ganz niedrig sind. Ich habe zu viele Termine.

Ich mag nicht, dass ich meine Schwester schon so lange nicht mehr gesehen habe. Ich vermisse sie, ich möchte sie umarmen, meine kleine Schwester, die kleine Risikopatientin, aber habe Angst, sie zu töten. Das mag ich nicht an Corona.

Aber die langen Telefonate sind schön. Während ich das Bad putze, die Küche putze, das Wohnzimmer putze, ergibt ein Wort das andere, das ist schön. Sich auszutauschen und dann gemeinsam die Wohnung geputzt zu haben, ist seltsam verbindend.

Als ich sie dann schon Wochen nicht mehr gehört habe, weil keine von uns Zeit hat, weiß ich, dass irgendeine Normalität eingekehrt ist. Wir sind nicht mehr zuhause, putzen nicht mehr unentwegt.

An Corona mag ich den Stillstand nicht, dass man nichts tun kann, mir fehlt die Freiheit zu gehen, wohin ich möchte. Theater, Kino, Reisen oder Essen gehen.

Aber ich mag die neuen Dinge, die sich eröffnet haben. Dass ich tun kann, wofür ich vorher keine Zeit hatte, wofür ich vorher keinen Mut hatte, wofür ich vorher keine Idee hatte, dass mir das Spaß macht. Und nun sitze ich am Pferd und es ist das Schönste, was es gibt.

Doch als der nächste Lockdown kommt und sie auch die Outdoor-Sportanlagen schließen, sitze ich wieder zuhause. Die Infektionszahlen waren zu hoch.

An Corona mag ich die überfüllten Krankenhäuser nicht. Auch nicht die überbesetzten Intensivstationen. Und schon gar nicht die fehlenden Vorsorgeuntersuchungen. Als meiner Mutter Krebs diagnostiziert wird, verlegen wir uns aufs Hoffen. Zehn Tage muss sie nach der OP im Krankenhaus bleiben, keiner darf sie besuchen. Kurz frage ich mich: Kommt sie wieder? Was, wenn nicht?

Doch das Zusammenstehen als Familie ist schön, das Spüren, dass man zusammen gehört, egal was war und was ist. Das ist schön.

Doch irgendwann wird sich das verlaufen, unser Zusammenhalt, wird im Alltag von Terminen und Verpflichtungen verschluckt. Doch so weit bin ich noch nicht.