Simones Geschichte

 

Wenn alle um Viertel nach sieben in der Früh das Haus verlassen

Ich kann mich gut an die erste Phase des Lockdowns erinnern. Ab Ende März 2020 hatten mein Mann und ich uns zu Hause im Home-Office eingerichtet. Im Gegensatz zu meinem Mann bedeutete das für mich an sich nur wenig Umstellung. Seit meiner reinen Selbständigkeit hatte ich auch zuvor schon großteils von zu Hause aus gearbeitet. Eine Umstellung bedeutete es für mich allerdings, dass ich nun nicht mehr alleine zu Hause war, sondern auch alle anderen Familienmitglieder, also mein Mann und die drei Mädchen, ebenfalls zu Hause sein mussten.

Es war die Zeit, in der die Schulen bereits geschlossen hatten. Der Schulstoff sollte von den Kindern zu Hause erarbeitet werden. Distance Learning, hieß das damals schon. Oder Home Schooling, was die Situation wohl besser beschreibt.

In den ersten Tagen erlebten wir ein rechtes Chaos, das sich dadurch zeigte, dass die größeren Mädchen (damals 14 und 16 Jahre alt) morgens nicht aus dem Bett kamen, die jüngere Schwester (8 Jahre alt) dagegen ständig um uns herum sprang. An konzentriertes Arbeiten war nicht einmal zu denken!

Recht schnell führte ich ein strenges Regime ein. Die Kinder wurden um halb acht geweckt, damit um 8 Uhr mit dem Lernen begonnen werden konnte. Um halb zehn war Jausenpause, zwischen zwölf und eins gemeinsames Mittagessen. Von 13 bis 17 Uhr gab es jeden Tag eine gerätefreie Zeit, die mit Rausgehen, Spielen, Basteln oder Backen gefüllt werden sollte. Wer dann noch etwas für die Schule zu tun hatte, konnte sich anschließend noch einmal an den PC setzen.

Soweit zumindest die Theorie.

Zwar wurde die Tagesstruktur im ersten Lockdown von den Kindern recht gut angenommen, für mich bedeutete dies allerdings kaum ungestörte Zeit zum Arbeiten, sondern ein ständiges Hin- und Herswitchen zwischen meinen eigenen Tätigkeiten, der schulischen Betreuung der Kinder und den anfallenden Haushaltsarbeiten wie Jause herrichten, Mittagessen kochen usw. Die schulische Betreuung der jüngsten Tochter teilen sich mein Mann und ich untereinander auf.

Ich habe es in recht negativer Erinnerung, dass es in der Zeit des ersten Lockdown zwar Arbeitsaufträge für die Kinder gab, diese aber von den LehrerInnen weder angeleitet noch kontrolliert wurden. Diese Aufgabe wurde offenbar uns Eltern überlassen, ohne dass das je kommuniziert worden wäre. Vor allem betraf dies die jüngste Tochter, die noch in die Volksschule geht. In der Zeit des ersten Lockdown gab es zwischen ihr und der Klassenlehrerin keinen einzigen persönlichen Kontakt. Auch bei den beiden großen Mädchen war der Kontakt zwischen ihnen und den LehrerInnen noch nicht durchgehend vorhanden, so dass sie sehr oft meine Unterstützung brauchten.

In der Zeit des ersten Lockdowns wurde ich zur Hauptbezugsperson meiner Kinder. Die gemeinsame Jause und das gemeinsame Mittagessen waren wichtige Fixpunkte des Tages, die zum Austausch, Tratschen, vor allem aber auch zum Beschweren genutzt wurden. Auch die gerätefreie Zeit wollten die Kinder am liebsten mit mir verbringen. Je länger der Lockdown anhielt, desto mehr gingen ihnen die Ideen aus, was sie in dieser Zeit – außer in irgendwelche Geräte hineinzuschauen – tun könnten.

Für mich bedeutete diese Zeit eine große Herausforderung und auch eine große Umstellung. Ich war es nicht gewohnt, so viel Zeit mit den Kindern zu verbringen. Stellte auch fest, dass das nicht das ist, was ich gerne möchte. Die Zeit des ersten Lockdown bedeutete für mich eine Zeit der gefühlten Unproduktivität und immer wieder auch der Unzufriedenheit.

Mit der Zeit richteten wir uns als Familie jedoch ganz gut ein, gewöhnten uns auch an die neuen Bedingungen. Dennoch war es eine große Erleichterung, als zuerst die kleine Tochter, später dann auch die beiden größeren wieder zum Unterricht in die Schule gehen konnten.

Die weiteren Lockdowns ab Herbst 2020 stellten sich für mich gänzlich anders dar. Die im Frühling ausgearbeitete und auch etablierte Struktur war nicht mehr haltbar. Zum einen blieb die jüngste Tochter nicht mehr im Distance-Learning zu Hause, sondern besuchte durchgehend die schulische Betreuung, auch am Nachmittag. Mein Mann konnte daher wieder im Büro arbeiten. Die beiden älteren Mädchen waren zwar wieder im Distance-Learning, die Schulen hatten sich aber mittlerweile an die neuen Bedingungen angepasst und es fand ein recht straffes Online-Programm statt. Für gemeinsame Jause oder Mittagessen war keine Zeit mehr, weil die Mädchen kaum je zur selben Zeit Pausen hatten.

Dennoch bestand großer Bedarf der Kinder an gemeinsam mit mir verbrachter Zeit. Diese fand nun ungeregelt statt, insofern als die Mädchen immer dann, wenn sie gerade Pausen vom Online-Unterricht hatten, zu mir heraufkamen, um zu schauen, ob ich mich nicht vielleicht mit ihnen beschäftigen könnte. Das störte meine Arbeitsroutine enorm. Die Situation verschärfte sich mit dem Wiederauftreten des Gruppenunterrichts, der zu viel weniger Online-Unterricht an den Home-Schooling-Tagen führte. Die Kinder verbrachten die meiste Zeit im Bett mit Schlafen oder Telefonieren, oder auch bei mir in meinem Arbeitszimmer, weil sie aus Langeweile einfach nicht wussten, was sie sonst tun sollten.

Bis heute erlebe ich jeden Tag, an dem um Viertel nach Sieben in der Früh alle Kinder das Haus verlassen haben, als große Erleichterung. Und eigentlich auch als etwas Besonderes. So schnell kann ich mich einfach nicht auf diese neue Situation einstellen.

 

Ein neuer Raum entsteht

Die Zeit des ersten Lockdowns bis in den Sommer hinein bedeutete für mich eine große Herausforderung. Ich war es nicht gewohnt, so viel Zeit mit den Kindern zu verbringen, war es auch nicht gewohnt, dass alle immer zu Hause waren. Ich fühlte mich gestört, abgelenkt, aufgehalten. Ich hatte das Gefühl, mit meinen eigenen Aufgaben nicht recht weiter zu kommen.

So stellte sich bei mir mit der Zeit eine immer größer werdende Ungeduld und auch Unzufriedenheit ein. Nachdem absehbar war, dass sich an der äußeren Situation nicht so bald etwas ändern würde, war es an mir, eine Veränderung vorzunehmen.

Doch ich tat mir gar nicht so leicht damit, was genau denn diese Veränderung – noch dazu unter den gegebenen Bedingungen – sein sollte. Wie sollte ich herausfinden, was ich anders machen musste, um mich besser zu fühlen? Ich kämpfte mit einer bleiernen Müdigkeit, die wohl Ausdruck meiner Unzufriedenheit war. Als ich ihr nachgab und über einige Tage viel Zeit im Bett verbrachte, öffnete sich plötzlich ein neuer Raum für mich. Ich entdeckte mein tiefes Bedürfnis nach Auslebung meiner Kreativität wieder. Zunächst war es nur ein leises Ziehen, aber je mehr ich es zuließ, desto intensiver wurde es.

Irgendwann war klar: Das war es! Ich musste dem auch tatsächlich Raum in meinem Leben geben!

Mit Beginn des Sommers begann ich, meine Jurte im Garten wieder mehr zu nutzen. Ich hatte die Jurte einige Jahre zuvor gemeinsam mit meinem Vater und meinem Mann selbst gebaut. Ein schöner Raum war entstanden, der aber leider bislang viel zu wenig genutzt worden war. Ich putzte die Jurte und richtete sie her. Aus unserem Werkkeller trug ich Farben, Pinsel, Kisten und andere Materialien herauf.

Kaum war der Raum hergerichtet, purzelten die Ideen nur so aus mir heraus. Ich experimentierte in unterschiedliche Richtungen. Schließlich begann ich, Boxen herzustellen. Kleine Räume, in denen Lebensrealitäten dargestellt wurden. In jeder selbst erstellten Box arrangierte ich diverse Elemente auf engstem Raum. Zumeist in recht symbolischer Art und Weise repräsentierten sie eine ganze innere Welt.

Eine Serie an Boxen fertigte ich zum Thema „Psychische Erkrankungen“ an. Sie geben dem Ausdruck, was ich in meiner täglichen Arbeit mit KlientInnen erlebe.

Einige der Boxen stehen seitdem in meiner Praxis. Ich verwende sie zur Psychoedukation mit Betroffenen. Es ab auch schon Nachfragen von anderen TherapeutInnen, ob ich ihnen nicht auch solche Boxen zu einem bestimmten Thema anfertigen könnte.

In einer zweiten Schiene begann ich, mich mit der kreativen Umsetzung von Forschungsergebnissen zu beschäftigen. Dies ist eine Idee, die ich schon einige Jahre mit mir herumgetragen hatte und der ich nun nachgehen wollte. Ergebnisse aus Forschungsprojekten verstauben zumeist in realen oder virtuellen Ordnern. Es sollte und musste doch Wege geben, diese einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen.

In meiner Jurte entwickelte ich eine Möglichkeit, Ergebnisse zum Thema Benachteiligung und Diskriminierung in verschiedenen Lebensbereichen in kreativer Weise darzustellen. Auf großen Platten bildete ich Verknüpfungen und Intersektionen plastisch ab und machte so Ergebnisse aus Befragungen und Interviews sichtbar. Die Serie ist unter dem Titel „Sind alle ihres Glückes Schmied?“ nun schon seit Dezember an der Universität Graz ausgestellt und dient der Wissenschaftskommunikation.

Seit Sommer 2020 haben die kreativen Ideen bei mir nicht mehr aufgehört. Immer noch verbringe ich viel Zeit – möglichst jeden Tag – in meiner Jurte und entwickle meine Projekte weiter. Das gibt mir Zufriedenheit und Zuversicht, diese herausfordernde Phase gut zu überstehen.